Hannelore Kraft: „Ich nehme das N-Wort nicht mehr in den Mund“

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kämpft um den Euro, will armen Städten helfen und regiert mit bunten Mehrheiten.

Frau Kraft, Sie sind am Wochenende als aktuelle Bundesratspräsidentin Gastgeberin beim Tag der Einheit in Bonn. In welchem Zustand ist Deutschland heute, 21 Jahre nach der Einheit?

Kraft: Wir sind tatsächlich zusammengewachsen. Natürlich gibt es immer noch große regionale Unterschiede, die gibt es aber auch innerhalb von Nordrhein-Westfalen. Wir leben aber als geeintes Deutschland gut zusammen.

Immer noch fließen jedes Jahr Milliarden Euro als Aufbau Ost in die neuen Bundesländer, in Wuppertal oder Duisburg fehlt das Geld, um Straßen zu flicken oder Bäder zu betreiben. Wann holt der Westen den Osten ein?

Kraft: Das ist überspitzt. Klar ist natürlich, dass es im Westen und in NRW bedürftige Städte gibt. Deshalb ist ja ein Stärkungspakt Stadtfinanzen des Landes notwendig. Wir wollen besonders notleidenden Kommunen in einem ersten Schritt 350 Millionen Euro noch in diesem Jahr geben. Doch auch der Bund muss die Kommunen stärker entlasten.

Darüber hinaus verlangen sie aber auch viele Millionen als Soli von den reichen Städten. Düsseldorf denkt über eine Klage nach.

Kraft: Auch Düsseldorf kann es nicht egal sein, wenn andere Städte im Umland weiter abrutschen. Bisher hat das Prinzip der Solidarität auch immer auf der kommunalen Ebene gegolten. Das ist auch weiterhin richtig. Diese Ansicht teile ich mit der übergroßen Mehrzahl der Städte.

In der SPD gibt es schon eine muntere Diskussion über den Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2013. Sie kennen Peer Steinbrück aus seiner Zeit in NRW: Hat er das Zeug zum Kanzler?

Kraft: Ich schätze Peer Steinbrück sehr. Wir sind in der guten Lage, dass gleich mehrere in der SPD Kanzler können. Wir entscheiden über die Kanzlerkandidatur im nächsten Jahr.

Steinbrück ist auch deshalb in aller Munde, weil die Schuldenkrise in Europa als sein Thema gilt. Wie stark ist NRW betroffen?

Kraft: Noch geht es hauptsächlich um Garantien und nicht um Zahlungen. Doch wenn Deutschland zahlen müsste, wären natürlich auch die Länder stark betroffen. Daher erwarte ich, dass die Länder beim dauerhaften Rettungsschirm ESM an der Entscheidung beteiligt werden. Doch bei allen Belastungen muss man immer wieder deutlich machen: Es gibt keine Alternative zum Euro. Wir profitieren als ein Land im Herzen Europas massiv vom gemeinsamen Markt. 65 Prozent unseres NRW-Exports geht in die EU.

Haben Sie diese Risiken schon in den Landeshaushalt eingerechnet?

Kraft: Nein, das können wir auch gar nicht, weil wir die Risiken ja nicht beziffern können. Was wir ungefähr absehen können, sind die Risiken für die Bad Bank der WestLB. Das werden Milliarden sein.

Seit Berlin macht die Piraten-Partei Furore. Ist das auch in NRW ein ernsthafter Mitbewerber?

Kraft: Natürlich nehmen wir auch die Piraten-Partei ernst. Wir werden die Entwicklung weiter beobachten. Bei der jüngsten NRW-Landtagswahl lag ihr Anteil bei 1,6 Prozent. Ich glaube, dass wir als SPD mit unseren Positionen in der Netz-Politik gut aufgestellt sind. Mit den Vorschlägen zur Parteireform gehen wir weiter als alle anderen etablierten Parteien.

Seitdem Ihre Minderheitsregierung amtiert, gibt es Gerüchte über Neuwahlen. Wie wahrscheinlich ist das?

Kraft: Ich nehme das N-Wort nicht mehr in den Mund. Wir konzentrieren uns stattdessen auf die inhaltliche Arbeit. Wir regieren stabil und arbeiten unsere Projekte aus dem Koalitionsvertrag ab. Im Landtag gibt es dafür bunte Mehrheiten. Man sollte nicht immer auf Umfragen schauen. Das sind nur Momentaufnahmen.

Neuerdings steht Ihnen die FDP zur Seite. Wie bewerten Sie das?

Kraft: Wir haben für unsere Politik mehrfach unterschiedliche Mehrheiten gefunden. Das sollte man jetzt nicht überbewerten. Ich habe aber wahrgenommen, dass die FDP in NRW sich in der Frage der Eurohilfen deutlich verantwortungsbewusster verhalten hat als die Liberalen in Berlin. Die haben auch für ihren populistischen Anti-Europa-Kurs bei der Berlin-Wahl die Quittung von den Wählern bekommen.

Hält also die rot-grüne Minderheitsregierung die volle Legislaturperiode bis 2015, oder gibt es vorher Neuwahlen?

Kraft: Wir regieren weiter, solange wir handlungsfähig sind. Der Koalitionsvertrag ist auf fünf Jahre angelegt. Alles andere wird man sehen.