Idyllisches „Erziehungscamp“
Jugendhilfe: Was in Bedburg-Hau geplant ist, erinnert kaum an ein Strafcamp. Und ähnliche Häuser gibt es in NRW schon.
Bedburg-Hau/Nottuln. Der Bauernhof mit seinem großen Garten, Ställen und Werkstatt macht einen gepflegten Eindruck. Wälder und weite Felder rahmen ihn ein. Drinnen werden Regale und Schränke zusammengeschraubt. Zäune oder gar Gitterstäbe montiert niemand auf der Hofanlage nahe Bedburg-Hau, das würde auch nicht zum schönen Namen dieser Einrichtung mitten im Idyll passen: "Ausblick". Ein "Erziehungscamp" stellt man sich irgendwie anders vor.
Ulrich Schäfer will solche Bezeichnungen auch nicht hören. "Dies ist kein Erziehungscamp, und so etwas war auch nie geplant", stellt der Pressesprecher der Kaiserswerther Diakonie klar. "Unsere Einrichtung hat nichts mit Drill zu tun." Die Diakonie trägt gemeinsam mit der EJF-Lazarus-Gesellschaft in Berlin die neue Jugendhilfeeinrichtung.
Schon Ende des Monats sollen hier acht Teenager zwischen zwölf und 15 Jahren einziehen. Es werden für die Polizei keine unbeschriebenen Blätter sein: Raubüberfall in mehreren Fällen, schwere Körperverletzung, Drogenkonsum - so oder ähnlich könnten ihre Akten aussehen. Nur bestraft werden können sie kaum, bis zum Alter von 14 Jahren gar nicht.
Dass dies jedoch neu und bisher einzigartig in NRW sein soll, wie NRW-Jugendminister Armin Laschet (CDU) behauptete, verwundert. Zwar gibt es bisher kein anderes Haus dieser Art im Land, das ausschließlich kriminelle Jugendliche aufnimmt. Das Konzept wird in gemischten Einrichtungen jedoch schon lange mit straffälligen Teenagern praktiziert - und zwar mit Erfolg. Zum Beispiel im Martinistift bei Nottuln im Münsterland.
Rund 200 Kinder und Jugendliche von zwölf bis 18 Jahren werden von der gemeinnützigen Martinistift GmbH in verschiedenen Einrichtungen betreut. Die meisten sind wegen Verhaltensauffälligkeiten hier, ein kleinerer Teil aber auch wegen einer kriminellen Karriere. In den Wohngruppen des Martinistifts bekommen sie die Chance auf einen Schulabschluss, eine Ausbildung - einen echten Neuanfang.
Der Schlüssel zum Erfolg sind klare Regeln und ein Stufenplan: Wer sich an die Absprachen hält, bekommt Schritt für Schritt mehr Freiheiten. Besonders "schwere Fälle" werden auf Anweisung eines Familienrichters zunächst in einer geschlossenen Gruppe untergebracht. Hier steht jedem Jugendlichen ein Pädagoge zur Seite. "Das Ziel ist, dass die Jugendlichen ein Vertrauensverhältnis zu ihren Betreuern aufbauen. Wenn das gelingt, sind die Aussichten auf Erfolg groß", erklärt Stefan Jochems, Geschäftsführer der Martinistift gGmbH.
Alter: Es wird auf Täter von 14 bis 17 Jahren, oft auch von 18 bis 20 Jahren angewandt. Kinder unter 14 Jahre sind strafunmündig.
Hintergrund: Grundsätzlich wird bei Jugendlichen davon ausgegangen, dass es sich um vorübergehende Entgleisungen handelt. Daher steht nicht Strafe, sondern Erziehung im Mittelpunkt. Eine Jugendstrafe (halbes bis zehn Jahre Haft) wird bei besonderer Schwere der Schuld oder "schädlichen Neigungen" verhängt.