Interview: Rüttgers und „Köhlers Monstranz“
NRW-Ministerpräsident kritisiert Präsident und Kanzlerin.
Berlin/Düsseldorf. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat Bundespräsident Horst Köhler wegen seiner wiederholten Mahnungen zu weiteren Reformen kritisiert. "Es ist nicht sinnvoll, ständig Neues zu fordern", sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende im Interview mit dem Magazin "Der Spiegel". "Man kann nicht so tun, als müsse es mit den Reformen erst richtig losgehen." Was Teile der Eliten beim Thema Reformpolitik verkündeten, produziere erst die Politikverdrossenheit, die dann beklagt werde.
Der NRW-Regierungschef wies auch Köhlers Forderung zurück, die "Agenda 2010" des damaligen Bundeskanzlers Schröder (SPD) dürfe nicht zurückgedreht werden. "Bei allem Respekt, das sehe ich etwas anders als der Bundespräsident", sagte Rüttgers. Es gebe "keinen Grund, die "Agenda 2010" wie eine Monstranz vor sich herzutragen". "Die Hartz-Reform ist das unbeliebteste Projekt der letzten Jahre, weil die Leute es nicht verstanden haben."
Viele Reformen wie die Rente mit 67 oder die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe seien zwar richtig gewesen, betonte der Christdemokrat. Aber irgendwann sei die Debatte aus dem Ruder gelaufen. Rüttgers: "Es war der Sieg der marktradikalen Ideologie."
Dies habe die Wähler überfordert - mit Folgen: "In Hessen sind viele Wähler von der CDU und SPD zur Linkspartei gegangen", so Rüttgers. Warum die ausgerechnet CDU wählen sollten, auch darauf hat der NRW-Ministerpräsident eine Antwort: Das seien "hart arbeitende Leute, die nichts mit Marxismus-Theorie am Hut haben. Ich nenne sie die Helmut-Schmidt-Wähler. Die und enttäuschte Protestwähler müssen wir für die CDU gewinnen."
Als ihm die Spiegel-Redakteure vorhalten, es sei ja wohl eine seltsame Vorstellung, die CDU als neue Heimat für Wähler der Linkspartei, kontert Rüttgers kühl: Wenn die SPD als "Volkspartei zerfällt, kommt auf die Union eine neue Aufgabe zu".
Rüttgers wies zudem die These von Parteichefin Angela Merkel zurück, Bildung sei die zentrale soziale Frage. "Natürlich ist für junge Leute eine optimale Ausbildung wichtig. Aber wenn ein 55-jähriger Lagerist seinen Job verliert, dann hat er kaum noch Chancen, durch Fortbildung eine neue Stelle zu bekommen."
Nach Berlin aber will er nicht gehen. Rüttgers: "Ich will 2010 in NRW die Landtagswahl gewinnen."