WZ-Interview Joachim Stamp (FDP): „Völlige Beitragsfreiheit bei Kitas ist derzeit utopisch“
Minister Joachim Stamp spricht im WZ-Interview über Kitapläne, Integration, Abschiebungen und seine neu aufgestellte FDP.
Herr Stamp, Sie waren jahrelang Abgeordneter im Landtag. Jetzt führen Sie ein Ministerium mit mehr als 300 Menschen. Was ist anders?
Joachim Stamp: Das ist eine ganz neue Herausforderung und gibt mir andere Gestaltungsmöglichkeiten als vorher als oppositioneller Parlamentarier. Ich habe bei meinen Mitarbeitern eine sehr positive Aufnahme erfahren. Und ich habe selbst auch sofort klargestellt, dass es mir nicht um Parteibücher geht, sondern um die gemeinsame Aufgabe unseres „Chancenministeriums“ — mit den Zuständigkeiten für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration.
Ein wichtiger Teil der Kompetenzen des Ministeriums liegt bei der Abschiebung von Ausländern. Sie haben angekündigt, auch auf Landesebene aktiv zu werden, um etwa mit den Maghreb-Staaten Rückkehrprogramme zu verhandeln.
Stamp: Ich habe ein erstes Gespräch mit dem Generalkonsul von Marokko geführt. Wir wollen die Kooperation mit den Maghreb-Staaten für Rückführungen verbessern. Es liegt auch im Interesse dieser Länder.
Inwiefern?
Stamp: Die alteingesessenen Maghrebiner wie etwa in Düsseldorf sind diejenigen, die sehr stark unter den marodierenden jungen Männern hier leiden, auch weil sie das Image der Maghrebiner insgesamt belasten. Daher gibt es eine gestiegene Bereitschaft, gemeinsam über Rückkehrprogramme nachzudenken.
Und beim Thema Abschiebung, was planen Sie da?
Stamp: Wir sind dabei, die Kapazitäten der Abschiebehaftanstalt in Büren mit derzeit rund 140 Plätzen um weitere 30 bis 40 Plätze auszubauen. Und auch die Bedingungen für das Personal zu verbessern.
Ist das ausreichend?
Stamp: Wir haben das Ziel, dass Asylbewerber, die zu uns kommen, in den Landeseinrichtungen das Verfahren abwarten. Wir wollen vor allem diejenigen mit einer geringen Bleibewahrscheinlichkeit komplett dort halten. Und wir wollen, dass sich in diesen Landeseinrichtungen immer auch eine Außenstelle vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) befindet. Dann können die Verfahren viel zügiger abgewickelt werden.
Aber will nicht der Bundesinnenminister Kapazitäten des Bamf wieder abbauen?
Stamp: Das halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für unverantwortlich. Bevor nicht der Berg der Altfälle abgearbeitet ist, darf der Bundesinnenminister nicht beim Bamf sparen.
Die Kommunen sind doch teilweise mit den Abschiebungen überfordert. Und das führt dann dazu, dass die Betroffenen, die schon lange hier sind, geduldet werden, was mit verrinnender Zeit eine Abschiebung dann immer schwieriger macht.
Stamp: Ja, bei denjenigen, die schon lange geduldet sind, müssen wir dazu kommen, dass die gut Integrierten einen sicheren Status bekommen. Ich erhalte Zuschriften von Unternehmen, die sich beklagen, dass sie mit viel Mühe Asylbewerber ausgebildet haben, die jetzt auf einmal abgeschoben werden sollen. Das ist volkswirtschaftlich Unsinn. Zumal die Unternehmen dann keinen qualifizierten Ersatz finden. Für mich gilt: Diejenigen, die Integrationsverweigerer oder kriminell sind, müssen konsequenter zurückgeführt werden und diejenigen, die sich integriert haben, sollten bleiben. Wir müssen das Ganze ohnehin viel grundsätzlicher angehen.
Über ein Einwanderungsgesetz?
Stamp: Ja, wir wollen den legalen Zugang für diejenigen erleichtern, die wir am Arbeitsmarkt gut brauchen können. Durch ein Einwanderungsgesetz. Mit einem Punktesystem ähnlich wie in Kanada. Wir arbeiten an einer Bundesratsinitiative, und ich bin froh, dass das in Zusammenarbeit mit der NRW-CDU geschieht, die sich bei dem Thema von der Bundes-CDU emanzipiert.
Das Bundesverwaltungsgericht hat soeben die Abschiebung islamistischer Gefährder abgesegnet, auch wenn von ihnen keine akute Gefahr ausgeht. Diese Möglichkeit, so hatte die FDP der Vorgängerregierung immer wieder vorgehalten, hätte es auch im Fall des Berliner Attentäter Anis Amri gegeben. Werden Sie Ihrerseits in Fällen mit NRW-Bezug nach dieser weitgehenden ausländerrechtlichen Regelung vorgehen?
Stamp: Kurz nach meiner Amtsübernahme habe ich eine Task Force eingerichtet, die alle ausländerrechtlichen Maßnahmen prüft, mit denen gegen Gefährder vorgegangen werden kann. Das wurde in der Vergangenheit nicht ausreichend gemacht. Dabei geht es nicht nur um Gefährder, sondern auch um „relevante Personen“ mit engen Kontakten zur extremistischen Szene. Wie etwa dem Attentäter von Hamburg. Auch da wollen wir so schnell wie möglich prüfen, wie wir durchgreifen können. Ebenso bei der Bekämpfung von Clanstrukturen, die wir zusammen mit dem Innenministerium angehen wollen.
Was schwebt Ihnen da vor?
Stamp: Zum einen eine Unerbittlichkeit, um die Strukturen in den Griff zu bekommen. Zum anderen der präventive Ansatz: den Kindern und Jugendlichen ein vernünftiges Bildungsangebot zu machen. Wir sprechen nicht nur von Abschiebung und Härte, sondern eben auch von Chancen. Chancen, damit sie nicht Kriminellen oder Extremisten aufsitzen, sondern sich mit unserer Gesellschaft identifizieren. Das Wegweiser-Projekt der Vorgängerregierung bei der Salafismus-Prävention ist ein richtiger Ansatz, aber es ist viel zu schleppend vorangekommen. Da müssen wir nachsteuern.
Wie gehen die Gespräche mit den Islamverbänden weiter? Kann man mit Ditib, dem Dachverband der türkisch-islamischen Moscheegemeinden in Deutschland überhaupt noch reden?
Stamp: Es mag Sie überraschen, aber ich habe für meine harte Kritik an Ditib-Funktionären viele positive Zuschriften aus Ditib-Gemeinden bekommen. Es wird dort vor Ort übrigens im seelsorgerischen Bereich oft viel Gutes getan. Wir können klar erkennen, dass es eine Reihe von Gemeinden gibt, die davor sind, sich abzuspalten.
Joachim Stamp über die Provokationen aus Ankara und die Verunsicherung in der deutsch-türkischen Community
Also ihre Anbindung an den türkischen Staat aufzugeben.
Stamp: Es ist insgesamt eine schwierige Situation in der türkischen Gemeinde in Deutschland, weil durch die willkürlichen Verhaftungen in der Türkei ein großes Misstrauen untereinander besteht, so dass man kaum offen diskutieren kann. Ditib muss sich entscheiden, ob man politische Organisation sein will, als Anhängsel von Herrn Erdogan, oder ob man sich auf die religiöse Arbeit konzentrieren will. Wenn sie weiter Politik machen wollen, sind sie perspektivisch kein Partner für das Land mehr. Aber es gibt auch Reformer innerhalb von Ditib. Und wir müssen sehen, wie wir die 70 bis 80 Prozent der nichtorganisierten Muslime einbeziehen können. Etwa bei Fragen des islamischen Religionsunterrichts. Dieser darf erst gar nicht im Verdacht stehen, mit den Werten des Grundgesetzes nicht kompatibel zu sein.
Sie sind auch Integrationsminister. Wird nicht durch die Provokationen aus Ankara, die ja wesentlichen Einfluss auch auf die Türken hierzulande haben, diese Integration noch viel schwieriger?
Stamp: Seit den Verdächtigungen und Verfolgungen, die auf den gescheiterten Putsch in der Türkei erfolgten, gibt es teilweise Risse durch Familien. Da sprechen Geschwister nicht mehr miteinander. Eine derartige Verunsicherung in der deutsch-türkischen Community ist auch für den gesellschaftlichen Frieden ein Problem.
Was kann ein Integrationsminister da tun?
Stamp: Immer wieder betonen, dass es hier um das Leben in Deutschland geht und nicht um Ankara. Wir in Düsseldorf und Berlin sind die politischen Ansprechpartner — und nicht Erdogan.
Warum stehen auch hierzulande so viele Türken hinter Erdogan?
Stamp: Eine große Rolle spielt das große Wirtschaftswachstum und der Wohlstandsgewinn der letzten 15 Jahre in der Türkei. Das wird bewundert. Gleichzeitig fühlen sich viele hier immer noch nicht richtig anerkannt. Wir müssen deutlich machen, dass jeder in Deutschland unabhängig von der Herkunft seinen Weg gehen kann und Chancen hat.
Gibt es denn auch Versäumnisse in der deutschen Politik?
Stamp: Ja, bis heute gibt es viele, die die Notwendigkeit von Integration negieren. Die Konservativen, die sagen, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist. Andererseits die Linken, die gesagt haben, dass jeder, der kommt, automatisch eine Bereicherung sei und deshalb gar nicht integriert werden müsse. Wir brauchen aber verbindliche Integration — von beiden Seiten.
Sie sind auch für Kinder und Familie zuständig. Sind Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner da überhaupt einig bei der Frage: Was ist eine Familie?
Stamp: Das glaube ich schon. Familie ist da, wo Erwachsene gemeinsam oder alleinerziehend dauerhaft Verantwortung für Kinder übernehmen und ihnen Geborgenheit geben. Ich glaube, dass das auch zum christlichen Menschenbild von Armin Laschet passt.
Konkrete Hilfe für die Interessen der Familie ist eine Sicherstellung der Kitaplätze. Wie sehen da Ihre Pläne aus?
Stamp: Wir werden jetzt erst einmal einen höheren Millionenbetrag investieren, um die Unterfinanzierung zu kompensieren, damit die Träger nicht reihenweise Kitas schließen. Im zweiten Schritt müssen wir für eine dauerhafte auskömmliche Finanzierung sorgen. Danach kümmern wir uns um die Verbesserung der Qualität, Stichwort Sprachförderung. Und in einem vierten Schritt gehen wir an die Flexibilisierung der Randzeiten.
Und wie sieht es mit Blick auf die Beitragsfreiheit aus?
Stamp: Es bleibt bei der Beitragsfreiheit fürs letzte Kindergartenjahr.
Die frühere Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte völlige Beitragsfreiheit in Aussicht gestellt.
Stamp: Wünschenswert, aber aus meiner Sicht derzeit völlig utopisch. Wir müssen jetzt erst mal Kitas retten, das System stabilisieren und die Qualität verbessern.
Noch eine Frage zu Ihrer Partei. Wie unterscheidet sich die jetzige FDP von der früheren, zuletzt unter dem damaligen Parteichef Philipp Rösler, in der es ja viel Missgunst und Durchstechereien gab?
Stamp: Das hat sich völlig verändert. Wir haben aus der Niederlage 2013 im Bund, die ja in erster Linie selbstverschuldet war, gelernt. Auch in einer Partei, die auf Individualismus und die Freiheit des Einzelnen setzt, braucht es Respekt und Korpsgeist untereinander, wenn man Erfolg haben möchte. Es gibt da ein ganz neues Zusammenspiel in den Parteigremien. Das ist vor allem die Leistung von Parteichef Christian Lindner. Was der für ein Pensum in den letzten vier Jahren absolviert hat, ist unglaublich.
Ist Schwarz-Gelb in NRW ein Modell für den Bund?
Stamp: Die Art und Weise der Zusammenarbeit hier sollte stilbildend für Koalitionen sein. Dass man sich über Unterschiede vernünftig austauscht und den dann gefundenen Kompromiss nach außen vertritt. Wir haben einen sehr positiven Umgang untereinander.