Interview NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst: „Wir werden den Diesel noch lange brauchen“

Der NRW-Verkehrsminister (CDU) über Stickoxid-Belastungen als „Sommerlochdebatte“, sein Interesse im Insolvenzfall Air Berlin und Versprechungen im Stauland Nordrhein-Westfalen.

Foto: Sergej Lepke

Herr Wüst, welches Interesse haben Sie im Fall der Insolvenz von Air Berlin als NRW-Verkehrsminister?

Hendrik Wüst: Ich hoffe, dass der Flughafen Düsseldorf mit einem blauen Auge davon kommen wird. Auch nach einer Insolvenz von Air Berlin werden Personal, Flugzeuge und Wartungskapazitäten benötigt. Meine Erwartungen sind klar: das Management von Air Berlin muss mit den 150 Millionen Euro der Bundesregierung und der gewonnenen Zeit auch etwas machen. Die Verbindungen müssen für Wirtschaft und Privatflieger bleiben. Und es müssen möglichst viele Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Wie wollen Sie das sicherstellen?

Wüst: Am Ende ist das die Aufgabe von Unternehmen. Aber wenn der Staat schon mit Geld reingeht, wird die Bundesregierung die Erwartung auch deutlich machen. Natürlich geht es auch darum, das Ganze nicht auf dem Rücken der Urlauber auszutragen. Aber das ist nicht die einzige Maßgabe.

Derzeit verhandeln Sie über die Kapazitätserweiterung am Flughafen Düsseldorf. Wie ist die Perspektive?

Wüst: Wir müssen da in einem rechtssicheren Prozess sowohl die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Flughafens mit den Schutzinteressen der Anwohner abwägen. Die Entscheidung muss dann vor Gerichten halten, deshalb lege ich großen Wert auf die Qualität dieses Verfahrens.

Was spielt die Insolvenz von Air Berlin in diesem Zusammenhang für eine Rolle?

Wüst: Ich verbinde damit die Hoffnung, dass sich nach den Schwierigkeiten mit Air Berlin, die sich ja auch mit vielen, vielen Verspätungen in die späten Abendstunden ausgewirkt haben, ein Neuanfang mit besser gemanagten Airlines möglich ist, die in der Lage sind, zugewiesene Zeitschienen einzuhalten. Dadurch könnte sich die Belastung der Anwohner entspannen. Das ist meine Hoffnung. Es wäre ein Neustart.

In welchem Zeitrahmen denken Sie in Sachen Kapazitätserweiterung?

Wüst: Die Flughafenkapazitätsentscheidungen in München oder Frankfurt haben bis zu fünf Jahre gedauert. Es ist ein extrem langwieriges Verfahren mit 40 000 Einwendungen und viele Gutachten, die alle sorgsam geprüft werden müssen.

Ist das nicht ein Grundsatzproblem, wenn Entscheidungen so lange dauern — auch für andere Projekte?

Wüst: Absolut, das ist ein europaweites Problem. Vieles, was da im Planungsrecht läuft, ist durch europäisches Umweltrecht festgelegt. Alles, was wir auf Landesebene tun können, um zu beschleunigen, werden wir machen. Trotzdem wird es am Ende an vielen Stellen sehr lange dauern. Ein Beispiel sind die Brückenersatzbauten. Da merkt man einfach, dass man viel früher anfangen muss. Jetzt muss man reparieren und ausbauen — und dann permanent dranbleiben. Und aufgrund möglichst sicherer Prognosen dann gleich über die nächste Runde nachdenken. Ein Beispiel: Auf der Sauerlandlinie gibt es eine Perlenkette von Brücken. Wenn wir die fertig haben, sind wir 15 bis 20 Jahre weiter. Da muss ich unterwegs schon wieder eine neue Prognose machen. Deswegen ist es so fatal, dass wir hier in NRW viele Jahre mit politischen Blockaden hatten. Auch in der letzten Koalition hat es über den Infrastrukturausbau Knatsch gegeben.

An den Brücken wie bei der gerade wieder eröffneten A40 oder in Leverkusen wird auf Jahre ein Stauengpass entstehen. Muss man nicht mal ernsthaft über viel mehr Fähren auf dem Rhein nachdenken, die das Land kauft?

Wüst: Eine Fähre, die eine Wasserstraße quert, wird nie die Mengen an Verkehr aufnehmen können, um auch nur im Ansatz das zu leisten, was eine Brücke leistet. Auch kein anderes Umfahrungskonzept ersetzt eine funktionierende Brücke bei 100 000 Bewegungen. Am Beispiel Leverkusen haben wir ausrechnen lassen, dass man mit entsprechend großen Fähren maximal 40 Lkw pro Stunde über den Rhein schaffen könnte. Und nicht zu vergessen: Der Rhein ist eine Wasserstraße von europäischer Bedeutung. Auch der Schiffsverkehr darf nicht gestört werden. Das Gute ist: Es gibt bei der A40 Brücke wie bei der Leverkusener Brücke nur eine einzige Klagemöglichkeit. In der nächsten Wahlperiode soll im Bund ein Verfahrensbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht werden. Ich kann Verkehrsminister Alexander Dobrindt nur unterstützen, das zu machen.

Geld genug für Ihre Pläne müsste ja nun da sein.

Wüst: In der Tat. Das Geld fließt aus Berlin, die Koalition hier stellt dem Verkehrsminister ausreichend Geld zum Erhalt der Landesstraßen zur Verfügung und über Neubau werden wir im Zuge der Haushaltsberatungen entscheiden. Zwei große Engpässe sind also weg: Auch der politische Wille ist jetzt da, die ganze Regierung ist das Bündnis für Mobilität.

Was für Voraussetzungen.

Wüst: Sie sehen einen glücklichen Menschen vor sich, der vor einer großen Herausforderung steht, von der zum Glück jeder weiß, dass sie riesig ist. Jetzt ist das Problem, Leute wie Planer und Planfeststeller zu finden. Wir konkurrieren da mit der freien Wirtschaft. Wir haben freie Stellen: Im Ministerium und auch bei Straßen NRW, meist für Juristen und Bauingenieure. Warum? Der Hochbau brummt, da wird das Geld verdient. Im Straßenbau hat die öffentliche Hand nicht nachgefragt. Wir müssen da bei der mittelständischen Bauwirtschaft wieder neues Vertrauen schaffen, dass wir dauerhaft ein guter Auftraggeber sind. Das wird dauerhaft so bleiben, weil unsere Infrastruktur am Limit ist.

Wie wird sich denn die Ausländer-Maut auf das Verkehrsaufkommen auswirken?

Wüst: Wir sind keine Freunde der Ausländer-Maut hier in NRW. Das wird uns nicht viel Verkehr weghalten, irgendwo müssen die Leute durch. Und NRW ist ein großes Land. Grundsätzlich ist die Idee falsch, durch Belastung jedweder Art Leute dazu zu bringen, ihr Mobilitätsverhalten zu verändern. Wenn man den gleichen Hirnschmalz in die Verbesserung des ÖPNV stecken würde, hätte man mehr gewonnen. Ich kann am Abend Tatort gucken und nebenbei per App eine Fernreise buchen. Aber wenn ich am nächsten Tag als Berufspendler meine Fahrt zwischen Rheinland und Westfalen planen will, dann wird es kompliziert.

Sie wollen es schaffen, Verkehrsverbünde zusammenzubringen. Am Ende soll der Nutzer alles aus einer Hand buchen können. Wie sperrig ist die Aufgabe?

Wüst: Das ist nicht einfach, weil alles aus kommunalen Strukturen kommt. Die Digitalisierung ermöglicht es uns aber, vom Kunden her gedacht eine Vereinheitlichung herbeizuführen. Das wird von Nahverkehr erwartet, das wissen auch die Verbünde. Die Erwartung habe ich klar geäußert. Es gilt: je schneller, desto besser.

Im Wahlkampf haben Sie damit geworben, Stau abbauen zu wollen. Bei der nächsten Wahl aber werden die Bürger immer noch im Stau stehen.

Wüst: Bis zur nächsten Wahl hätte ich gerne einige Projekte abgeschlossen. Aber es ist klar, dass wir die Widersprüchlichkeit erklären müssen, dass die Leute sehen, dass sie etwas in Kauf nehmen, damit sich ihre Situation verbessert. Wir machen viel dafür: Sechs-Tage-Wochen, Mehrschichtsystem, Tageshelligkeit voll ausnutzen, an noch mehr Stellen Bonus-und Malus-Regelungen nutzen. Dann auch die Chancen der Digitalisierung nutzen und früh Baustellen kommunizieren. Wir werden die elektronischen Hinweistafeln ausbauen, um mehr Alternativen anzubieten. Bis hin zum Management der einzelnen Baustelle. Wir wissen, dass wir uns da selbst einen hohen Anspruch auferlegt haben.

Von der A46 zwischen Wuppertal und Düsseldorf wollen wir gar nicht reden, die viele unserer Leser tagtäglich nutzen.

Wüst: Dann reden wir über etwas anderes (lacht).

Wie sieht denn hier der Stand der Bauplanungen aus?

Wüst: Beim sechsstreifigen Ausbau am Sonnborner Kreuz sind wir im Planfeststellungsverfahren, das ist 2018 abgeschlossen. Dann muss man schauen, ob geklagt wird. Wenn nicht, geht es in die Ausschreibung.

Es braucht Geduld als Verkehrsminister.

Wüst: Ich lerne auch mit 42 täglich dazu, geduldig zu werden. Zu viel Geduld ist in dem Amt aber auch verkehrt. Da muss man ständig zerren, ziehen und schieben.

Es braucht in dem Amt aber auch große Ideen. Haben Sie in Sachen Stickoxidbelastung in den Innenstädten eine solche?

Wüst: Ich warne vor neuen grünen Lebenslügen. Diese Debatte ist mit all ihren Übertreibungen und Fehlgewichtungen eine typische Sommerlochdebatte. Wer heute sein Elektroauto an der Tanksäule betankt, der hat unseren aktuellen Energiemix im Tank. Das fühlt sich erstmal gut an, ich finde das auch alles attraktiv, aber die Debatte trägt ja skurrile Züge. Die Stickoxidbelastung ist in den letzten Jahren massiv runtergegangen. Wir diskutieren, als sei sie hochgegangen. Den Diesel zu verdammen, das hat ja fast religiöse Züge. Ich sage: Wir werden ihn noch lange brauchen. Er muss besser werden, aber man muss die Debatten über manipulative Motorsteuerung und Kartellvorwürfe von der Debatte, wann und wie man die Grenzwerte für die Stickoxide einhalten kann, trennen.

Machen Sie es da der Automobilindustrie nicht wieder viel zu leicht?

Wüst: Die Automobilindustrie hat viele Menschen enttäuscht. Auch uns. Dem Anschein nach scheint nicht jeder in der Automobilindustrie verstanden zu haben, was die Uhr geschlagen hat. Die Industrie muss das liefern, was sie versprochen hat. Aber den Diesel zu verdammen, ist total verkehrt. Das löst keine Probleme. Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen. Dazu gehört die Umrüstung des ÖPNV, die Umrüstung der Landstromversorgung der Schiffe wie auch eine bessere Verkehrssteuerung.

Ein eventuell baldiges Fahrverbotsurteil setzt Sie zeitlich nicht unter Druck?

Wüst: Wir müssen uns ranhalten. Andere Bundesländer beschreiben aber in ihren Luftreinhalteplänen Zeiträume von bis zu drei Jahren, in denen man die Ziele dann erreichen will. Allein die bisher beschlossenen Maßnahmen und das Bündel, das ich gerade beschrieben habe, machen es möglich, in dieser Zeit das 40-Mikrogramm-Ziel zu erreichen. Ich investiere meine Energie lieber da rein, das zu schaffen, als ständig die Leute mit Fahrverboten verrückt zu machen. Das ist das Geschäftsmodell anderer Leute. Meine Aufgabe ist es, Probleme zu lösen.