Jürgen Rüttgers: „Ich habe die Prügel abgekriegt“

Interview: Jürgen Rüttgers nimmt für sich in Anspruch, die CDU auf Kurs gebracht zu haben.

Düsseldorf. Herr Rüttgers, Sie sind jetzt nahezu drei Jahre Ministerpräsident. Was unterscheidet NRW im Jahr 2008 von dem im Jahr 2005?

Rüttgers: Wir sind in den drei Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen. Wir haben die Neuverschuldung stark heruntergefahren, es werden wieder Straßen gebaut, wir haben mit der großen Schulreform unter anderem den Unterrichtsausfall um 45Prozent gesenkt. Es gibt mehr Ganztagsschulen. NRW liegt wieder vorne - nach lähmenden Jahren des Stillstands unter Rot-Grün.

NRW, die soziale Stimme im Bund - dieses Image hat einst Johannes Rau geprägt. Ist dieser Sozialdemokrat Ihr Vorbild?

Rüttgers: Johannes Rau verkörperte als ein großer Ministerpräsident den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dieses Land steht seit seiner Gründung für die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft wie kein anderes. Das galt unter Karl Arnold, unter Johannes Rau, das gilt auch jetzt.

Sind Sie immer noch der bekannteste SPD-Politiker, wie einmal eine Umfrage ermittelte?

Rüttgers: Die Mehrheit in allen Gruppen, auch bei den Arbeitnehmern, unterstützt den Ministerpräsidenten.

Nach allen Untersuchungen geht die soziale Schere im Land immer weiter auseinander. Was kann die Politik dagegen tun?

Rüttgers: Die Politik ist gut beraten, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen angesichts dieses Auseinanderfallens in arm und reich, unausgebildet und ausgebildet. Die Erwerbsbiografien haben sich radikal geändert - es gibt heute viel mehr Brüche mit Phasen von Arbeitslosigkeit und Armut. Darauf muss Politik reagieren.

Wie konkret?

Rüttgers: Indem sie etwas gegen die Altersarmut tut, die kommenden Generationen droht. Ich schlage vor, dass man nach 35Jahren treuen Einzahlens in die Rentenkasse eine höhere Rente erhält als Hartz-IV-Niveau. Ich will auch den Zugang gering verdienender Selbstständiger zur Riester-Rente. Sonst trifft die Altersarmut auch die Frau vom Kiosk-Besitzers von nebenan oder den Ein-Lkw-Spediteur. Übrigens ist Mindestlohn auch kein Schutz vor Altersarmut. 40Jahre lang ein Stundenlohn von 7,50 Euro bedeutet am Ende gerade mal Grundsicherung.

Gerade wurden außerplanmäßige Rentenerhöhungen angekündigt. Sind Sie einverstanden?

Rüttgers: Das ist angesichts etwa der hohen Energiepreise in Ordnung. Aber das ist keine Antwort auf die strukturellen Herausforderungen der kommenden Jahre. Die Gesellschaft wird immer älter, die Alterssicherung wird immer wichtiger. Deshalb bin ich dafür, dass wir das gesamte System überdenken. Der Anteil der Steuerfinanzierung an der gesetzlichen Rente muss steigen. Aber das muss so geregelt werden, dass entsprechend einem zwischen der Politik und der Versichertenwirtschaft zu schließenden Vertrag die Finanzierungsregeln klar festgelegt werden. Im Gegenzug könnten die Beiträge sinken. Das käme auch der jungen Generation und der gesamten Wirtschaft zugute.

Sie haben schon früh gegen Hartz IV gekämpft. Jetzt wird das Arbeitslosengeld I länger an Ältere gezahlt. Reicht das aus?

Rüttgers: Nein, wir müssen auch das Schonvermögen auf 700 Euro pro Lebensjahr erhöhen. Derzeit darf man nur 250 Euro pro Lebensjahr behalten

Sie machen Vorschläge, die andere - also der Bund - bezahlen müssen. Ist das redlich?

Rüttgers: Diese Vorwürfe kommen aus der SPD von Leuten, die meine Vorschläge bekämpfen, aber jetzt Herrn Beck dafür loben, dass er beim Arbeitslosengeld die Kehrtwende gemacht hat.

Ist die gesellschaftliche Diskussion aus den Fugen geraten?

Rüttgers: In den vergangenen Jahren wurde in der öffentlichen Diskussion immer wieder das Mantra des Neoliberalismus heruntergeleiert. Die Menschen wurden dabei vergessen. Das muss korrigiert werden. Wir in NRW beweisen das mit unserer Politik.

Das gilt doch auch für die CDU.

Rüttgers: Wahr ist, dass ich zeitweise gegen eine Mehrheit in der Partei kämpfen musste. Jetzt ist die Mehrheit meiner Meinung.

Ist das Ihr Verdienst?

Rüttgers: Jedenfalls habe ich die Prügel abgekriegt. Aber der Kampf hat sich gelohnt.

In zwei Jahren sind die nächsten NRW-Landtagswahlen. Ist bei einem Fünf-Partei-Parlament eine Bündnis mit FDP und Grünen, also Jamaika, für Sie eine Option?

Rüttgers: Die Linken kommen nicht in den Landtag. Wir müssen sie nur klar bekämpfen und nicht wie die SPD mit ihrem unklaren Kurs hoffähig machen. Der Parteitag am Samstag war trotz aller Rhetorik ja in Wirklichkeit die Öffnung für eine Koalition Linke-SPD. Die Nordrhein-Westfalen sind vernünftige Leute und wählen keine Partei, die die Energieindustrie verstaatlichen und aus der Nato austreten will. Unsere schwarz-gelbe Koalition hier funktioniert bestens.

Werden Sie eine Koalitionsaussage machen?

Rüttgers: Ja, für die FDP.

Verfolgen Sie die Hamburger Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen?

Rüttgers: Ja, sicher, und ich wünsche Ole von Beust viel Erfolg.

Ein Vorbild für Sie?

Rüttgers: Warum sollte ich über andere Koalitionen nachdenken?

Wie schwach darf die SPD werden, damit sich die CDU immer noch freut?

Parteitag Die CDU will sich im Juni auf ihrem Landesparteitag in Dortmund als soziale Partei profilieren. In einem Leitantrag zum Konvent wird auch die Einführung einer Teilrente für alle Arbeitnehmer eingeführt, die später einmal nicht bis zum 67.Lebensjahr arbeiten können oder wollen.

Parteichef In Dortmund stellt sich Rüttgers zur Wiederwahl, es wird keinen Gegenkandidaten geben. Im Landesverband ist seine Stellung stärker denn je. Der letzte mögliche Konkurrent mit Format war Friedrich Merz. Der hat sich aber von der Politik verabschiedet und ist neuerdings sogar Rüttgers-Berater.