Kriminalität NRW-Polizei kämpft gegen Rocker-Szene

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat die Banden bei seinem Amtsantritt 2010 sofort ins Visier genommen. Der Fahndungsdruck ist aktuell groß wie nie — aber viele Rocker zeigen sich unbeeindruckt.

„Hells Angels“ und „Bandidos“ haben ihre Reviere in Nordrhein-Westfalen abgesteckt — die „Osmanen Germania“ sind relativ neu in der Szene. Fotos: dpa

„Hells Angels“ und „Bandidos“ haben ihre Reviere in Nordrhein-Westfalen abgesteckt — die „Osmanen Germania“ sind relativ neu in der Szene. Fotos: dpa

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Düsseldorf. Mord, versuchte Tötung, Schusswaffengebrauch, Anschläge auf missliebige Rivalen mit Panzerfaust oder Handgranaten, Schutzgelderpressung, Förderung der Prostitution — die Liste der Taten, die Rockern vom Landeskriminalamt NRW zugeordnet wird, ließe sich beliebig verlängern. Am Dienstag stehen drei Männer und eine Frau in Hagen vor Gericht. Einer der Männer soll den „Hells Angels“ angehören. In diesem Fall geht es „nur“ um eine Serie von Schutzgelderpressungen — allerdings soll auch eine Waffe im Spiel gewesen sein.

In den vergangenen Jahren hat es aber immer wieder gewalttätige und blutige Auseinandersetzungen innerhalb der Rockerszene gegeben. Im Mai 2015 wurde in Würselen ein Mitglied des „Turkish Army 81 MC“ mit einem Kopfschuss praktisch hingerichtet, ein Unbeteiligter wurde durch Schüsse schwer verletzt. Tatverdächtiger: ein Mitglied der „Hells Angels“. Im Juli 2014 lieferten sich Mitglieder der „United Tribuns“ eine Schießerei mit rivalisierenden „Black Jackets“. Auch beinahe tödlich ging eine Auseinandersetzung zwischen dem inzwischen aus Nordrhein-Westfalen verschwundenem „Satudarah MC“ und den „Hells Angels“ im Februar 2013 in Duisburg aus. Ein Mann wurde niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Bei einer Attacke auf ein Vereinsheim des „MC Satudarah“ im Juli 2014 in Aachen wurden laut Polizeibericht „wie durch ein Wunder nur zwei Personen verletzt“.

Die Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Landtagsabgeordneten Theo Kruse an das NRW-Innenministerium vom vergangenen Herbst mag einen Eindruck davon geben, wie hoch die kriminelle Energie bei vielen Rockern ist. Kruse wollte wissen, wie oft zwischen 2010 und 2015 „Schusswaffengebrauch mit Rockerbezug“ in Nordrhein-Westfalen stattgefunden hat. Die Liste umfasst 44 Einträge — allerdings handelt es sich nur um polizeibekannte Vorfälle. Rocker klären Differenzen am liebsten unter sich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat sich gleich zu Amtsbeginn 2010 auf die Fahnen geschrieben, dem Rocker-Spuk Einhalt zu gebieten. Zum Beispiel wurden die Kontrollen verschärft, es gibt keine bekannte Rocker-Veranstaltung ohne Polizei. Erst am Wochenende „besuchte“ ein Großaufgebot der Polizei Rockertreffen am Niederrhein. In diesem Fall waren Mitglieder des „MC Gremium“ und der „Freeway Riders“ im Fokus der Ermittler.

Jäger musste aber auch Rückschläge hinnehmen. Im Sommer 2014 hat der NRW-Innenminister verfügt, dass weder Hells Angels noch Bandidos ihre Embleme öffentlich auf ihren Kutten zeigen dürfen. Das war für die Rocker ein herber Schlag, weil die Embleme für sie eine zentrale Bedeutung haben. Laut Experten dienen die Kutten der Machtdemonstration und Einschüchterung, etwa bei Schutzgelderpressungen. Der Bundesgerichtshof erteilte dem Kuttenverbot allerdings im vergangenen Jahr eine Absage: Das Tragen der Abzeichen sei nicht strafbar, wenn sie mit dem Zusatz einer nicht verbotenen Orts-Gliederung versehen sind, so die Richter.

Ungeachtet dessen verspricht Jäger: „Die NRW-Polizei hält den Fahndungsdruck auf kriminelle Rocker hoch. Wir verfolgen entschlossen die Verbrechen der Rockerbanden und gehen entschieden gegen diese gewalttätigen Subkulturen vor.“ Dazu gehört auch die Türsteher-Szene. Motto: „Wer die Tür kontrolliert, kontrolliert auch alle Geschäfte dahinter“, also in erster Linie Drogendeals.

Im Januar dieses Jahres machte sich eine weitere Rockergruppe in Nordrhein-Westfalen breit: 70 Mitglieder der „Osmanen Germania“, entstanden nach der Absplitterung von den „Hells Angels“ und eigentlich in der Nähe von Frankfurt beheimatet, hatten im Januar einen martialischen Auftritt in Neuss. Kurz darauf trafen sich 40 Mitglieder in Duisburg. Es handelt sich um meist türkischstämmige Männer, die Hälfte der Mitglieder ist unter 25 Jahre alt. Das LKA hat die rasch wachsende Gruppe längst im Visier. 20 Charter haben die „Osmanen Germania“ innerhalb weniger Monate in Deutschland gegründet, neun davon in Nordrhein-Westfalen, neben dem Westfälischen und Ruhrgebiet auch in Köln, Aachen und Düsseldorf.

Gerade die Landeshauptstadt ist dabei ein heißes Pflaster. Zwar ist hier das Hells-Angels-Chapter seit 15 Jahren verboten, dennoch ist dem LKA klar, „dass sie alle noch da sind“, wie ein LKA-Sprecher erklärte. Bisher habe man von den „Osmanen Germania“ noch keine „rockertypischen Straftaten aus der Gruppe heraus registriert“, dennoch wurde der Auftritt in Neuss — auch diese Stadt gehört zum „Revier“ der Hells Angels“ — als Provokation verstanden. Das LKA behält die Entwicklung im Blick, glaubt aber laut Sprecher nicht, dass die „Osmanen Germania“ ernsthaft die „Hells Angels“ oder „Bandidos“ verdrängen wollen.

Derweil ließen die vier Angeklagten im Hagener Landgericht von ihren Anwälten mitteilen, dass sie vorerst zu den Vorwürfen schweigen wollen. Die Staatsanwaltschaft wirft drei Männern und einer Frau vor, von Ende 2014 bis Ende 2015 mehrere Geschäftsleute bedroht und zur Zahlung von zum Teil hohen Geldsummen gedrängt zu haben. Der Prozess findet unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen statt. Alle Zuschauer müssen ihre Personalien hinterlegen. Das Tragen von Kutten ist verboten. Laut Richter hat es im Vorfeld der Verhandlung ein Gespräch zwischen der Kammer, der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern gegeben. Eine konkrete Verständigung auf eventuelle Strafhöhen im Falle von Geständnissen sei dabei aber noch nicht zustande gekommen.