Frau Kraft, was ist eigentlich ein SPD-Stammland?Kraft: Es gibt keine Stammländer mehr - weder für die CDU noch für die SPD. Die Wählerbewegungen sind sehr viel ausgeprägter als früher, die alten Gewissheiten zählen nicht mehr. Früher galt NRW als SPD-Stammland. Nach seriösen Umfragen steht Ihre Partei hier bei 31 Prozent, zehn Punkte hinter der CDU. Was läuft schief?Kraft: Umfragen sind nur Momentaufnahmen. Aber das soll keine Ausrede sein: Die Werte sind natürlich nicht gut. Dafür gibt es einige Gründe, die nicht in erster Stelle in NRW liegen. Seit einigen Wochen bieten wir in unserer eigenen Außendarstellung auf Bundesebene ein Bild der Uneinigkeit. Die Wähler erwarten von uns Geschlossenheit. Das war leider zu oft nicht der Fall. Viele haben zu vieles gequatscht. Darunter leiden wir, das müssen wir abstellen. Am Samstag tritt Kurt Beck als SPD-Bundeschef auf Ihrem Landesparteitag auf. Nach den aktuellen Analysen zieht er mit seinen schlechten Werten die SPD mit nach unten. Was erwarten Sie von seinem Auftritt?Kraft: Ich widerspreche den von Ihnen genannten Analysen: Kurt Beck zieht die Partei nicht nach unten. In den vergangenen Wochen sind sicher Fehler gemacht worden. Es wurde zu viel geredet in der Parteispitze, sei es in Hintergrundgesprächen, sei es in einigen Interviews. Kurt Beck ist uns herzlich willkommen. Zumal wir auf dem Parteitag seine Linie des Hamburger Programms auf die Kommunalpolitik runterbrechen. Die politische Gretchenfrage für alle SPD-Politiker in diesen Tagen: Wie halten Sie es mit der Linkspartei?Kraft: Ich habe dabei drei Grundsätze. 1. Wir wollen als SPD bei der Landtagswahl in NRW im Jahr 2010 die stärkste Partei werden. 2. Wir wollen die Partei "Die Linke" aus dem Landtag heraushalten. 3. Wir entlarven sie inhaltlich, denn wir suchen die Auseinandersetzung und nicht die Zusammenarbeit. Alles andere interessiert mich nicht. Also schließen Sie eine Koalition nicht aus?Kraft: Diese Frage stellt sich heute nicht.
"Die schrillen Töne deuten auf die nackte Panik der CDU. Die haben Angst."
Sie betreiben eine Gratwanderung. Die CDU treibt Sie als Links-Kraft und Steigbügelhalter für Kommunisten durchs Land.Kraft: Die schrillen Töne deuten nur auf die nackte Panik der CDU hin. Die haben Angst. Tatsächlich ist es doch absurd, sich über zwei Jahre vor der Wahl auf irgendetwas festzulegen. Das sieht übrigens FDP-Chef Pinkwart genauso. Im übrigen: Ich habe mit dem Vorsitzenden der Partei "Die Linke" ein Streitgespräch geführt. Das nenne ich aktive Aufklärung und Auseinandersetzung. Das hat ergeben: Die Partei "Die Linke" will raus aus der Nato, raus aus der EU, Schlüsselindustrien verstaatlichen - das würde dem Standort NRW massiv schaden. Das nenne ich aktive Aufklärung der Bürger und eine klare inhaltliche Auseinandersetzung. Bei der CDU herrscht da Fehlanzeige.
War das der Fehler von Andrea Ypsilanti in Hessen?Kraft: Da bei der SPD der Grundsatz gilt, dass jeder Landesverband selbst entscheidet, sage ich zu anderen Landesverbänden grundsätzlich nichts.
Auf Ihrem Parteitag geht es um einen Leitantrag "Starke Städte, starkes Land". Was verbirgt sich dahinter?Kraft: Wir setzen ein starkes Gegenstück zu der Politik der Landesregierung, die die Städte und Gemeinden immer ärmer macht. Die kommunalfeindliche Politik verstößt sogar gegen die Verfassung, wie das NRW-Verfassungsgericht festgestellt hat. Wir setzen auf die soziale Stadt, auf Lebensräume, die für Familien und Senioren gleichermaßen geeignet sind.
Das sind schöne Visionen, die jeder unterschreiben würde. Aber woher kommt das Geld, wenn zum Beispiel eine Stadt wie Wuppertal nahezu pleite ist?Kraft: Auch Wuppertal hätte deutlich mehr Spielraum, wenn es keine finanziellen Raubzüge der schwarz-gelben Landesregierung gäbe. CDU und FDP haben den Kommunen seit 2005 drei Milliarden Euro vorenthalten. Das ist Geld, was heute zum Beispiel in Kindergärten und Krankenhäusern fehlt.
Die Landtagswahl 2010 wollen Sie zur Abstimmung über das beste Schulsystem machen. Was kann Ihre Gemeinschaftsschule, was das dreigliedrige Schulsystem nicht kann?Kraft: 1. Mehr Kinder werden bessere Abschlüsse erzielen. Kein Kind geht verloren. 2. Kinder werden individuell gefördert. Sie erhalten die besten Chancen - unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. 3. Kinder lernen länger gemeinsam, werden nicht mehr früh in Schubladen gesteckt, aus denen sie nicht mehr herauskommen. Das ist das Gegenteil dessen, was CDU und FDP machen.
Sie stammen aus einem Arbeiterhaushalt, haben Abitur gemacht. Wäre das heute noch möglich?Kraft: Jedenfalls sehr viel schwerer. Aber da muss ich auch sagen, dass wir als SPD bei der Förderung von Kindern in der Vergangenheit einiges versäumt haben.
SPD-Landesparteitag in Düsseldorf Wahlen 450 Delegierte werden heute im Düsseldorfer Maritim-Hotel erwartet. Dazu kommen rund 500 Gäste und rund 150 Journalisten, die sich angemeldet haben. Auf der Tagesordnung stehen Vorstandswahlen. Parteichefin Hannelore Kraft stellt sich erstmals zur Wiederwahl, nachdem sie vor 15Monaten mit 95,6 Prozent gewählt worden waren. Mit Spannung wird der Auftritt von Parteichef Kurt Beck erwartet, der dem mitgliederstärksten Parteitag die Turbulenzen der vergangenen Wochen erklären muss.
Persönlich Hannelore Kraft hat eine Blitzkarriere bei der SPD hinter sich. Sie ist erst seit 1994 Parteimitglied, kam im Jahr 2000 in den Landtag. Wolfgang Clement machte sie schnell zur Ministerin. Nach dem Wahldesaster im Mai 2005 wurde sie zur einzigen Hoffnungsträgerin und zunächst Fraktionschefin. Jochen Dieckmann führte die Partei. Doch schnell wurde klar, dass er nicht die richtige Figur an dieser Stelle war. Mit ihrem unüberhörbaren Ruhrpott-Dialekt und mutigen Auftreten hat sich Kraft auch in Berlin schon einen Namen gemacht.