Organisierte Kriminalität: Italienische Mafia nur auf Platz 6
In NRW sind Täter vieler anderer Nationen in Verbrechensfirmen organisiert. Die meisten Tatverdächtigen stammen aus dem Libanon und der Türkei.
<strong>Düsseldorf. Das Mafia-Massaker von Duisburg wirft ein Schlaglicht auf eine vom öffentlichen Bewusstsein fast schon verdrängte Realität: Das Organisierte Verbrechen ist längst Teil des alltäglichen Lebens. Der Lagebericht Organisierte Kriminalität 2006 des Landeskriminalamtes (LKA) zeigt, dass es nicht nur italienische Straftäter sind, die in mafiösen Strukturen zwischen Rhein und Weser organisiert sind. Thomas Jungbluth, Abteilungsleiter Organisierte Kriminalität (OK) beim Landeskriminalamt NRW: "Im vergangenen Jahr wurden in NRW 67 Ermittlungsverfahren der Organisierten Kriminalität von den Polizeibehörden bearbeitet." Und in diesen Verfahren stammen nur relativ wenige Tatverdächtige aus Italien. Die Mafia liegt in einer Länderwertung des Verbrechens gleichsam nur auf Platz 6. Mit 112 Verdächtigen (14,3 Prozent) stellen die Libanesen den mutmaßlich größten Anteil ausländischer OK-Täter in NRW, dicht gefolgt von türkischen Organisationen (105 Verdächtige). Dann folgen Verdächtige aus der russischen Föderation (76), aus Polen (39) und aus Serbien/Montenegro (35). Gegen italienische Staatsbürger ermittelte die Polizei wegen OK-Verdachts in 31 Fällen.
Die libanesische Al Zein Großfamilie gilt als besonders brutal
In Berlin wird der Hauptsitz der libanesischen Organisierten Kriminalität um die Großfamilie Al Zein vermutet. Doch auch in Düsseldorf machten die Libanesen, die sich vor allem mit Rauschgift und sehr brutaler Schutzgelderpressung bei Landsleuten befassen, von sich reden: Im Januar zerschlug die Polizei mit einer Großrazzia einen der Al-Zein-Familie zugerechneten Schutzgelderpresser-Ring, nahm fünf mutmaßliche Täter fest.
Rauschgift und Waffen, aber auch Erpressung von Landsleuten sind die Spezialitäten türkischer OK-Strukturen. Dabei gibt es auch Hinweise auf den politischen Raum: Tatverdächtige haben nicht selten Beziehungen etwa zu den rechtsradikalen "Grauen Wölfen", zu Polit-Organisationen wie zur Devrimci Sol (deutsch: Revolutionäre Linke, auch Dev-Sol) oder zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, die auch vom Verfassungsschutz überwacht werden.
Drogengeschäfte und das Rotlicht-Milieu sind die Domäne des Zemun Clans, der seinen Namen von einem Belgrader Vorort ableitet. Die Organisation kontrolliert den Großteil des Drogenhandels auf dem Balkan. Ihr sollen zahlreiche Ex-Elitekämpfer einer dem Belgrader Innenministerium unterstehenden Spezialeinheit angehören. Der Zemun Clan war 2003 in den Mord am serbischen Premierminister Zoran Djindjic verwickelt. In NRW gibt es in Ermittlungsverfahren aus dem Raum Düsseldorf Hinweise auf den Belgrader Clan.
Definition Wann Organisierte Kriminalität (OK) vorliegt, ist juristisch definiert: "Organisierte Kriminalität ist die vom Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken."
OK-Lagebild Das Landeskriminalamt erstellt jährlich das "Lagebild Organisierte Kriminalität". Es basiert auf Ermittlungsverfahren gegen Gruppierungen der Organisierten Kriminalität. Dabei bezieht sich "Ermittlungsverfahren" auf den Gesamtkomplex der Ermittlungen, nicht auf gegen Einzelne geführte gesonderte Verfahren.
Zahlen So stieg seit dem OK-Lagebild 2002 bis zum Lagebild 2006 die Anzahl der einschlägigen Ermittlungsverfahren von 51 auf 67. Die Zahl der in diesen Verfahren zusammengefassten einzelnen Straftaten stieg jedoch von 1684 (2002) auf 3570 im vergangenen Jahr.
OK-Potenzial Zur Klassifizierung der OK gibt es ein bundesweit abgestimmtes Bewertungssystem von 1 (=sehr gering) bis 100 (=sehr hoch). Danach hatten im vergangenen Jahr 25,4 Prozent aller Verfahren in NRW ein hohes OK-Potenzial von 60 Punkten oder mehr.