Frau Pfeiffer-Poensgen, Tesla geht nach Brandenburg und nicht nach Euskirchen. Der Wirtschaftsminister hat seine Enttäuschung gut überspielt und den Nutzen für NRW-Zulieferer betont. Sehen Sie aus Forschungssicht auch einen Nutzen für die geplante Batteriezellforschung in Münster?
Interview mit Isabel Pfeiffer-Poensgen NRW-Wissenschaftsministerin: „Das Thema Studienbeiträge werden wir nicht weiterverfolgen“
Exklusiv | Düsseldorf · Die NRW-Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen spricht im Interview über ihre Alternativlösung für Studienbeiträge, die Batteriezellforschung und den Meinungsstreit an Hochschulen.
Hinter dem Schreibtisch von Isabel Pfeiffer-Poensgen (65) hängt ein Gemälde des langjährigen Münsteraner Akademie-Professors Ulrich Erben. Weitere Kunstwerke im Büro der parteilosen NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft stammen von Ernst Wilhelm Nay und Ewald Mataré. Sie alle sind Leihgaben des „Kunsthauses NRW“ in der ehemaligen Reichsabtei Kornelimünster in Aachen. Dort werden die mittlerweile mehr als 4000 Förderankäufe des Landes seit der Nachkriegszeit gesammelt und stehen zum Teil den Ministerien als Leihgabe zur Verfügung. Pfeiffer-Poensgen hat das Angebot nach ihrem Amtsantritt gleich genutzt: „Es gibt hier unendlich viele Wände und alle waren sie blank und weiß.“ Eine persönliche Präferenz für die kulturelle Sparte ihres Hauses will die frühere Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder daraus aber nicht abgeleitet sehen: „Ich finde die Wissenschaftsthemen mindestens genauso spannend.“
Isabel Pfeiffer-Poensgen: Die Idee des Bundes ist ja ein Dachkonzept für alle Fragen der Batteriezell-Entwicklung, das zwar einen Schwerpunkt in der Forschungsfabrik in Münster haben soll, sich aber an ganz Deutschland orientiert. Daher ist das nordrhein-westfälische Konzept aus Münster, Aachen und Jülich sehr offen gestaltet und lädt andere Standorte zur Mitarbeit ein. Wir hatten gerade ein Treffen bei Bundesforschungsministerin Anja Karliczek, weil sie neben den Mitteln für Münster noch drei zusätzliche Cluster im Umfeld der Batterieforschung ausschreiben will. Batteriezellforschung heißt also nicht nur Münster und ist auch nicht auf Nordrhein-Westfalen beschränkt. Eine potenzielle Zusammenarbeit mit Tesla kann daher auch mit einem Standort in Brandenburg entstehen. Wenn diese Ansiedlung dort jetzt dynamisch umgesetzt wird, kann sie mithelfen, das gesamte Thema Elektromobilität in Deutschland voranzubringen. Und das wollen wir ja.
Aber der Duisburger Professor Ferdinand Dudenhöffer hat nach der Tesla-Entscheidung die staatlich subventionierte Batterieproduktion komplett infrage gestellt und erklärt, auch die Münsteraner Forschungspläne müssten überdacht werden. Ist dieser Gedanke völliger Unsinn?
Pfeiffer-Poensgen: Ich halte ihn zumindest nicht für naheliegend. Ich glaube auch, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, dass Professor Dudenhöffer auf diesem Feld kein Experte ist. Er ist ja kein Batterieforscher, sondern Wirtschaftswissenschaftler. Die Anwendungsfelder für die Batterien, die in Münster entstehen werden, gehen weit über die Automobilindustrie hinaus. Daher teile ich die Einschätzung von Herrn Dudenhöffer überhaupt nicht.
Wird sich der Streit um den Zuschlag für Münster aus Ihrer Sicht jetzt endlich beruhigen?
Pfeiffer-Poensgen: Ich gehe davon aus. Für die beteiligten Forscher, die ja auf Weltniveau arbeiten, war er jedenfalls grenzwertig. Und mich hat die Aussage, mit dem Zuschlag werde Strukturpolitik betrieben, auch aufgebracht. Das Münsterland braucht keine Strukturhilfe. Der Bund ist mit der Forschungsfertigung dahin gegangen, wo die besten Forscher sitzen.
Das gerade in Kraft getretene neue Hochschulgesetz sieht aktuell keine Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer vor, der Koalitionsvertrag schon. Für den Herbst hatten Sie eine Entscheidung angekündigt. Ist sie gefallen?
Pfeiffer-Poensgen: Ja, die Prüfung ist jetzt abgeschlossen. Wir haben die Erfahrungen aus Baden-Württemberg in Ruhe analysiert, weil Studienbeiträge nichts sind, was man mal so nebenbei einführt, und es auch bei den Hochschulen Vorbehalte gab. Das allein würde mich noch nicht davon abhalten, wenn ich ansonsten von der Einführung der Studienbeiträge überzeugt wäre. Aber Baden-Württemberg hat zweierlei deutlich gemacht: Zum einen gab es einen deutlichen Rückgang an Studierenden aus Drittstaaten. Zum anderen besteht dort für die notwendige soziale Ausgewogenheit ein sehr komplexes Befreiungssystem, sodass sich nach zwei Jahren herausgestellt hat, dass rund 50 Prozent der Bewerber die Gebühren gar nicht zahlen müssen. Das ist völlig in Ordnung, aber es heißt auch, dass es entsprechend weniger Einnahmen gibt.
Wozu sollten diese Einnahmen verwendet werden?
Pfeiffer-Poensgen: Im Koalitionsvertrag steht, dass sich das Betreuungsverhältnis von Studierenden zu Lehrenden verbessern muss, denn da hat Nordrhein-Westfalen seit Langem großen Nachholbedarf. Dafür benötigen die Hochschulen zusätzliches Geld, um mehr Lehrpersonal einstellen zu können. Zu diesem Zweck sollten Studienbeiträge nach dem Modell Baden-Württemberg eingeführt werden. Aber wir haben gesehen, dass das auch eine Menge Verwaltungsaufwand erfordert, gerade bei der Prüfung der Befreiungsgründe. Daher sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir das Problem anders lösen müssen. Deswegen werden wir das Thema Studienbeiträge nicht weiterverfolgen.
Was ist die Alternative?
Pfeiffer-Poensgen: Im Sommer haben wir die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über den Zukunftsvertrag Studium und Lehre (ZSL) abgeschlossen, den Nachfolger des Hochschulpakts. Der tritt ab 2021 in Kraft und wird je zur Hälfte vom Bund und den Ländern finanziert. Der ZSL rückt gerade die Themen Qualität der Lehre und bessere Betreuung der Studierenden in den Mittelpunkt. Das bietet uns die Möglichkeit, jetzt deutlich mehr Geld als bisher in die Verbesserung des Betreuungsverhältnisses zu investieren.
Und wie soll das funktionieren?
Pfeiffer-Poensgen: Als Rot-Grün 2011 die Studiengebühren wieder abgeschafft hat, wurde zum Ausgleich ein Gesetz zur Qualitätsverbesserung der Lehre gemacht, für das 249 Millionen Euro pro Jahr festgeschrieben wurden. Diese Zahl wurde nie erhöht, obwohl die Studentenzahlen seitdem massiv gestiegen sind. Das Geld pro Kopf wurde also immer weniger. Das werden wir jetzt ändern und stocken aus dem ZSL die Mittel für die Qualitätsverbesserung um 51 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich auf. Den Hochschulen stehen dafür also künftig jährlich 300 Millionen Euro zur Verfügung. Damit können sie langfristig planen und zusätzliches Lehrpersonal wie Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter einstellen. So kompensieren wir finanziell, was eigentlich mit den Studienbeiträgen erreicht werden sollte. Mit denen hätten wir diese Summe ohnehin erst in einigen Jahren erreicht.
Die Studiengebühren sollten aber 100 Millionen Euro einbringen.
Pfeiffer-Poensgen: Diese Zahl stammt nicht von mir. Aber im Lichte der Erfahrungen aus Baden-Württemberg, dass 50 Prozent der Bewerber aus Drittländern am Ende von den Beiträgen befreit sind, überzeugt mich unsere jetzige Lösung mehr. Sie ist einfacher und unbürokratischer.
Und Sie sind auch persönlich erleichtert, weil Sie nie wirklich von den Beiträgen überzeugt waren?
Pfeiffer-Poensgen: Ich bin sehr zufrieden mit dem jetzigen Ergebnis. Trotzdem muss man alles erst mal durchdenken. Denn natürlich gibt es ja viele deutsche Studierende im Ausland, zum Beispiel in den Niederlanden, England oder den USA, die dort Studiengebühren bezahlen müssen. Aber wir haben hier eine andere Tradition und die ist auch nicht schlecht. Und den gewünschten Effekt erzielen wir jetzt eben auf anderem Wege.
Ab wann werden die neuen Pläne wirksam?
Pfeiffer-Poensgen: Wir müssen zunächst die rechtlichen Voraussetzungen für die Erhöhung der Mittel schaffen. Das werden wir im kommenden Jahr anpacken. Der Zukunftsvertrag Studium und Lehre läuft 2021 an und dann stehen auch die kompletten 300 Millionen für die Hochschulen zur Verfügung.
780 000 Studierende an den Hochschulen in NRW – der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz spricht von einem „Rekordtableau“. Auch wenn die Zahlen nicht weiter steigen: Glauben Sie nicht, dass viele davon in einer Ausbildung besser aufgehoben wären?
Pfeiffer-Poensgen: Das Tableau ist in der Tat nach wie vor sehr hoch. Es gibt aber auch Bereiche, in denen das Angebot an Studienplätzen zuletzt zu gering war, etwa bei den Lehrkräften. Deshalb werden wir bis zum nächsten Wintersemester 1000 neue Studienplätze einrichten, darunter im Grundschullehramt und in der Sonderpädagogik. Im neuen Hochschulgesetz haben wir aber auch Möglichkeiten wie etwa Online-Self-Assessments angelegt, mit denen Hochschulanfänger besser herausfinden können, ob ein Studium wirklich das Richtige für sie ist. Auch müssen wir das bestehende System durchlässiger machen: An der RWTH Aachen gibt es beispielsweise die Möglichkeit eines sehr guten Übergangs für Studierende zur dortigen Fachhochschule. Die Aufgabe der Politik und der Hochschulen ist vor allem, durch eine gute Beratung den richtigen Weg zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass andere Ausbildungen als gleichwertig angesehen werden.
In Hamburg hat Bernd Lucke drei Anläufe gebraucht, um schließlich unter Polizeischutz seine erste Vorlesung nach seiner Rückkehr an die Uni Hamburg halten zu können. Und Christian Lindner musste seinen Vortrag außerhalb der Universität halten. Ist das auch in NRW denkbar?
Pfeiffer-Poensgen: Denkbar ist so ein Fall wahrscheinlich nicht nur in Hamburg. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass eine Hochschule sich durch ihre Satzung klar aufstellt, welche Veranstaltungen bei ihr stattfinden dürfen und welche nicht.
Das ist für Sie Aufgabe der Universitäten und nicht des Ministeriums?
Pfeiffer-Poensgen: Absolut. Im neuen Hochschulgesetz haben wir den Hochschulen Möglichkeiten an die Hand gegeben, um angemessen reagieren zu können, unter anderem auch durch Ordnungsmaßnahmen.
Und der Fall Lucke?
Pfeiffer-Poensgen: So eine Situation ist für alle schwierig. Aber wenn jemand als Hochschullehrer für ein Fach berufen ist und sich in dieser Rolle rechtlich nichts hat zuschulden kommen lassen, dann muss die Hochschulleitung auch sicherstellen, dass er seine Veranstaltung machen kann.
In dieser Woche hat es den ersten Runden Tisch zur Universitätsmedizin gegeben. Welche Schlussfolgerungen aus dem Gutachten des Wissenschaftsrats ziehen Sie?
Pfeiffer-Poensgen: Insgesamt ist die Entwicklung der Unikliniken seit dem letzten Gutachten des Wissenschaftsrats vor 20 Jahren sehr positiv. Aber bei übergreifenden Themen wie der Digitalisierung müssen wir uns ganz anders aufstellen. Als ich hier angefangen habe, gab es weder einen Haushaltstitel für die Digitalisierung an Universitätskliniken noch an den Hochschulen. Für die Hochschulen haben wir jetzt immerhin jedes Jahr 50 Millionen Euro für gemeinsame Programme zur Verfügung. Bei den Unikliniken sind es bislang erst zwei Millionen pro Klinik. Das muss natürlich mehr werden, aber wir haben zumindest mal angefangen. Auch das Thema Infrastruktur kostet viel Geld, ist aber für die Zukunftsentwicklung der Universitätskliniken unglaublich wichtig. Und die Vernetzung der Kliniken untereinander gewinnt an Bedeutung, weil man in der Medizin heute mit großen Datenmengen über Krankheitsverläufe forscht. In der Krebsmedizin haben wir schon damit angefangen.
Sind Sie zur Verschiebung des Starts der neuen medizinischen Fakultät in Bielefeld bereit, wie sie vom Wissenschaftsrat empfohlen wird?
Pfeiffer-Poensgen: Wir brauchen den Studiengang so bald wie möglich. Und wir hoffen nach wie vor, dass wir im Wintersemester 2021/22 anfangen können. Das ist auch das Ziel der Universität Bielefeld.
Die letzte Frage dann doch noch an die Kultur- und nicht an die Wissenschaftsministerin: Wenn Sie sich eine künstlerische Begabung wünschen könnten, die Sie nicht haben, welche wäre das?
Pfeiffer-Poensgen: Ich würde gerne besser Klavier spielen können. Ich habe damit irgendwann in meiner Zeit an der Musikhochschule Köln aufgehört, weil ich gehört habe, wie wunderbar andere Musiker das können und wie wenig wunderbar ich selbst.