Pleitehausen liegt überall in NRW
Wenn Kommunen sparen müssen, wird das kulturelle Angebot ausgedünnt. Die Identität der Städte geht damit verloren.
Oberhausen. Bernd Bürger lebt im beschaulichen Städtchen Pleitehausen. Obwohl dort die Lebensqualität in den vergangenen Jahren abgenommen hat, bleibt er als Einwohner seiner Heimat treu. Seinem Hobby Schwimmen geht Bernd Bürger nicht mehr nach seit das städtische Hallenbad geschlossen wurde. Die Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr ist zu teuer, um das nächste Bad im Nachbarort zu erreichen. Das Theater musste schließen.
Wenn Bernd Bürger mit seinem Hund Gassi geht, dann nimmt er immer eine Taschenlampe mit - Pleitehausen spart in den städtischen Außenbezirken an der Straßenbeleuchtung. So brennen nur zwei Lampen statt drei oder die Beleuchtung ist ganz ausgeschaltet. Und auch die Grünstreifen und Stadtgärten leuchten weniger farbenfroh als früher.
Nur hier und da wachsen vereinzelt blasse Krokusse, die die Mitarbeiter der Stadtgärtnerei vor deren Schließung in besseren Jahren gepflanzt haben. Kulturelle Projekte hat Pleitehausen zuerst gestrichen, denn das sind in diesem Land für Kommunen sogenannte freiwillige Aufgaben. Das Jugendzentrum und die städtische Bücherei - einst beliebte Treffpunkte unterschiedlicher Generationen - stehen schon seit Jahren leer.
In Pleitehausen wird die Bevölkerung immer älter, die Jungen ziehen weg - in eine andere Stadt, die womöglich sogar noch selbst ausbilden und einstellen darf...
Ein gruseliges Szenario aus einem Science-Fiction-Film? Nein, alle genannten Beispiele sind in NRW längst bittere Realität: Die Städte Duisburg, Essen, Mönchengladbach, Oberhausen, Remscheid, Solingen und Wuppertal sind überschuldet. Es gilt das Nothaushaltsrecht. Der Haushalt wurde von der Bezirksregierung nicht genehmigt und wird nun überwacht - und zwar von Regierungspräsident Jürgen Büssow (SPD).
Rainer Suhr, Sprecher der Stadt Oberhausen, sagt: "Wir sind die Schlimmsten, wir stecken am tiefsten und auch am längsten in der Kreide. Büssow wirft uns Verschwendungssucht vor." Die Ruhrgebietsstadt hat allein 50 000 Arbeitsplätze in der Montanindustrie verloren und das bei nur 220 000 Einwohnern.
Weil sie nicht einmal den relativ geringen Eigenanteil aufbringen kann, der eine Voraussetzung für eine Förderung durch das Land ist, wurde Oberhausen von allen Förderlisten im Regionalplan gestrichen, wie Suhr beklagte. Inzwischen liegt das vierte Sparkonzept vor. In Oberhausen sind es diverse Stadtteilprojekte sowie ein Bücherbus und eine Büchereizweigstelle, die dem Rotstift zum Opfer fielen. Auch die Nachtbusse fahren seltener.
Alle bemühten sich, "beim Sparen kreativ zu sein", so beschreibt der Sprecher der Stadt Remscheid die kommunale Zwickmühle, einerseits den städtischen Haushalt wieder in schwarze Zahlen zu bringen, andererseits die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben zu finanzieren. So wurden Volkshochschulen im bergischen Städtedreieck zu einer gemeinsamen VHS zusammengelegt, die Stammstelle der Remscheider Galerie hat man gleich ganz gestrichen.
In Mönchengladbach versuchen eigens engagierte "Sparkommissare" alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Defizit von 510 Millionen Euro pro Jahr bei insgesamt 1,1 Milliarden Schulden zu tilgen. "Uns fehlen satte 100 Millionen Euro, um den Haushalt ausgleichen zu können", rechnet Sprecher Dirk Rütten vor. Es scheint, als seien alle Anstrengungen vergeblich. Die Städte haben erhebliche Probleme, die von der Bezirksregierung geforderten Sparmaßnahmen einzuhalten.
Wenn in NRW gespart wird, dann zuerst am kulturellen Angebot. Denn das gilt hierzulande als sogenannte freiwillige Aufgabe. "Es ist ein Systemfehler, Kultur nicht als harten Standortfaktor zu begreifen", sagt Christian Henkelmann, Beigeordneter für Bildung, Sport und Kultur der Stadt Remscheid. Wenn immer nur zuerst an der Kultur gekürzt werde, bleibe an Identität einer Stadt nicht mehr viel übrig. "Am liebsten wäre es ihnen (der Bezirksregierung), wenn wir unser Theater schließen", sagt Suhr.
Aus dem Konjunkturpaket bekommt eine Stadt wie Oberhausen zwar 25 Millionen, aber dem stehen rund 122 Millionen Euro Schulden gegenüber. Trotzdem ist auch Oberhausen per Gesetz dazu verpflichtet, den Solidaritätsbeitrag zu entrichten, um Kommunen in den neuen Bundesländern zu unterstützen. "Über 200 Millionen hat Oberhausen in den Soli gesteckt, und jeder Euro war kreditfinanziert", klagt Suhr.
Die sogenannte Förderung nach Himmelsrichtung hält auch Professor Martin Junkernheinrich, der finanziell geschwächte Kommunen beraten hat, für überholt. Ginge es nach ihm, wäre es sinnvoller, die Städte nach dem Grad ihrer Bedürftigkeit zu unterstützen. Er schlägt einen "Altschuldenfond" vor.
Bei diesem Modell müssten 250 bis 300 Millionen Euro eingesetzt werden, um den Städten einen Zahlungsaufschub zu gewähren. So könnten die Schulden sinken, die wirtschaftliche Situation würde sich stabilisieren und die Städte würden wieder finanziell handlungsfähig.