Expertenrunde Wie kann Pflege bezahlbar bleiben?

Düsseldorf · Wo hakt es im Pflegealltag? Was tun gegen die großen Probleme? Unsere Redaktion hat Praktiker und Politiker an einen Tisch gebracht. Zum Thema gibt es auch überraschende Aussagen.

 Symbolbild

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Foto: dpa/Christoph Schmidt

Wenn Politiker im Bundestag oder im Landtag über eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme, die Pflege, diskutieren, sind sie meist unter sich. Manchmal laden sie auch Experten zu Anhörungen. So etwas hat jetzt auch diese Zeitung in einem neuen Format getan. Bei einem zusammen mit der Krankenkasse DAK Gesundheit organisierten Pflegeforum haben wir eine Frau und drei Männer eingeladen, die täglich mit dem Thema zu tun haben. Und dazu noch je einen gesundheitspolitischen Sprecher der im NRW-Landtag vertretenen Parteien, denen sie direkt ihre Sorgen und Wünsche präsentieren konnten.

Der Beruf des Pflegers braucht mehr Wertschätzung

Am nächsten dran am Thema ist Sabine Matthews. Sie ist Pflegedienstleiterin in einem Pflegeheim mit 112 Bewohnern. Matthews stößt die Politiker auf einen Aspekt, der in der komplizierten Diskussion um Mängel in der Pflege eher wie ein weiches Thema erscheint, aber aus ihrer Sicht doch besonders wichtig ist: Das Image des Pflegeberufs, sein Ansehen in der Gesellschaft.

Viele Kollegen, sagt Matthews, müssten immer wieder im privaten Bereich ihre Berufswahl rechtfertigen. Sie würden gefragt: Wie kannst du das machen, diese psychisch und körperlich belastende Arbeit, noch dazu nicht gut bezahlt. Die meisten würden trotzdem mit viel Idealismus beginnen, manch einer sei aber irgendwann demoralisiert.

 Annette Ludwig, Chefredaktion, begrüßt die Gäste des Pflegeforums.

Annette Ludwig, Chefredaktion, begrüßt die Gäste des Pflegeforums.

Foto: David Young

Da hilft ihr das Bekenntnis von FDP-Mann Stefan Lenzen wohl erst einmal wenig. Der findet: „Mit welcher Hingabe die Pfleger ihren Job machen, kann man gar nicht hoch genug aufhängen“. Man müsse diese Wertschätzung auch nach außen tragen, regt Carsten König, Hausarzt in Düsseldorf und stellvertretender Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, an. „Die Kassenärzte hätten vor ein paar Jahren eine sensationelle Kampagne gemacht. „Wir arbeiten für Ihr Leben gern“, hieß das Motto. So was müssen wir auch bei der Pflege machen, schlägt er vor. Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen warnt vor zu viel Enthusiasmus bei einer solchen Idee. „Wenn man mit Blick auf den Pflegeberuf nur lobhudelt, dann kann es schnell passieren, dass die Hard Facts vernachlässigt werden.“ Die harten Fakten, das sind die handfesten Probleme, vor denen die Pflege steht. Allen voran der Fachkräftemangel.

Was tun gegen den Fachkräftemangel?

Uwe Hildebrandt ist Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Westliches Westfalen, einem großen Anbieter im Bereich Pflege, der allein in diesem Bereich 7000 Mitarbeiter beschäftigt. Er kennt die Frustration junger Menschen, die ihre Ausbildung abbrechen, weil sie schon mal sechs Wochen kein freies Wochenende haben. „Die Leute, die wir begeistern sollen, enttäuschen wir fürchterlich, das geht so nicht weiter“, mahnt er. „Wir kriegen viele Stellen nicht besetzt.“

Und Klaus Overdiek, NRW-Chef der DAK-Gesundheit, warnt davor, dass niemand sich mit dem Gedanken zurücklehnen kann, er habe ja für den Pflegefall finanziell vorgesorgt. Solchen Menschen halte er entgegen: „Denkst du, Geld pflegt? Es braucht auch Menschen, die dafür zur Verfügung stehen.“

Eben deshalb dürfe man die Pflege nicht schlecht reden, mahnt Josef Neumann (SPD). Und er kommt auch gleich auf ein Thema, das manch einer als die Lösung des Fachkräftemangels ansieht. Dass Menschen aus dem Ausland in die Bresche springen.

Können Menschen aus dem Ausland die Lücke füllen?

Neumann sieht das kritisch. Menschen aus dem Ausland abzuwerben, die dann dort fehlen, kann auch nicht richtig sein. Für einen AfD-Mann überraschend spricht sich Martin Vincentz aber genau dafür aus. Er sagt selbst, dass das aus seinem Mund „komisch klingen mag“, aber er sei offen dafür, dass man für den Pflegebereich qualifizierte Kräfte aus dem Ausland anwirbt.“ Da könne man in Staaten, die sich das gern wünschen würden, etwa in Südostasien, fündig werden. Und da tue man dann auch dem anderen Staat nicht weh. Zuzug von Ausländern nach Deutschland – ob auch seine Parteifreunde das so sehen?

Auch SPD-Mann Neumann will nicht generell gegen Pfleger aus dem Ausland plädieren. Er weist darauf hin, dass sich derzeit ein Heer von Menschen insbesondere aus Polen in Großbritannien Sorge um ihre Zukunft mache. Wegen des Brexit. Die solle man anwerben, bevor andere es tun.

Die Awo ist in diesem Feld auf ganz besondere Weise aktiv. Geschäftsführer Hildebrandt erzählt, dass man überlege, in Vietnam eine Altenpflegeschule aufzubauen. Mit einer vierjährigen Pflege-Ausbildung einschließlich dem Vermitteln der deutschen Sprache.  Dann müsse später aber auch der ganzen Familie des Pflegers oder der Pflegerin in Deutschland eine Perspektive gegeben werden, sagt er.

Wie lässt sich die Finanzierung der Pflege sichern?

Eine besonders schwierige Baustelle im Bereich der Pflegeversicherung ist die Finanzierung. Hildebrandt schlägt vor, zu dem Pflegebeitrag auch noch statt des bisherigen Solidaritätsbeitrages einen Pflegesoli zu berechnen. Er macht die Rechnung anhand eines Menschen auf, der 2800 Euro brutto verdient. Der zahle 21,53 Euro Pflegebeitrag und 15,14 Euro Solidaritätsbeitrag. Man müsse den Mut haben, diesen Soli in einen Pflegesoli umzuwandeln.

DAK-Chef Overdiek sagt, die Pflegeversicherung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und müsse daher auch über Steuern finanziert werden. Dem stimmt auch Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen zu. Während bisher der Beitrag der Pflegeversicherung am Einkommen durch Arbeit orientiert ist, könnten für die Finanzierung doch auch Steuermittel aus anderen Einkunftsarten kommen, zum Beispiel aus Einkommen aus Mieten und Verpachtung.FDP-Mann Stefan Lenzen hat da einen anderen Ansatz: die private Säule der Finanzierung müsse weiterentwickelt werden. Durch eine kapitalgedeckte Versicherung, die jeder für sich persönlich aufbaut. Das könne der Staat fördern. Mostofizadeh winkt ab. Ein solches System habe schon bei der Riesterrente nicht funktioniert. Da seien Rentenleistungen gekürzt worden und Geld im Kapitalmarkt verschwunden. Und er fügt hinzu: „Es gibt viele schlecht bezahlte Berufe, diese Menschen können nichts zurücklegen.“ SPD-Mann Neumann sieht das auch so:  „Pflege muss Würde sicherstellen. Den Millionen Menschen, die jetzt im Niedriglohnsektor arbeiten, denen kann man doch nicht sagen: Du hast dich nicht selbst versichert und deshalb hast du nicht diese Würde zu bekommen.“

Weitere Kostensteigerung durch Finanzinvestoren?

Schon jetzt liegen die Pflegekosten in NRW hoch im Vergleich zu anderen Bundesländern. Darauf weist Peter Preuß (CDU) hin. Was daran liege, dass hier viel investiert werde und die Vergütungen wegen der relativ hohen Tarifgebundenheit vergleichsweise hoch seien.

Kapitalinvestoren könnten den Trend zu höheren Pflegekosten noch verstärken, warnt Overdiek: „Die sind längst unterwegs, denen geht es um die Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Und dann ziehen sie es raus aus dem System, wir alle werden diese Zeche eines Tages zahlen.“ Auch Awo-Mann Hildebrandt bestätigt den Trend. Das seien Investoren, „deren einziger Auftrag es ist, Milliarden anzulegen. Da müssen wir jetzt aufpassen.“

Einigkeit: Die ambulante Pflege soll gestärkt werden

Ärztevertreter Carsten König macht auf einen Irrweg aufmerksam: Ein Platz im Pflegeheim kostet zwischen 4000 und 7000 Euro, das seien absurde Summen. Der Anteil der zu Pflegenden daran liege bei 1800 Euro, in NRW sogar bei über 2000 Euro. „Das wird nicht mehr funktionieren. Wer soll das bezahlen?“ König kritisiert, dass es eine zu starke finanzielle Fokussierung auf den stationären Bereich gibt.  76 Prozent  der Pflegebedürftigen würden zu Hause gepflegt, in NRW seien es sogar 78 Prozent. „Wir müssen den ambulanten Bereich sehr viel mehr stärken. Wir können nicht noch mal 50 Prozent mehr Heime bauen, schon, weil wir nicht das Personal finden.“

Der Grüne Mostofizadeh, früher selbst einmal Altenpfleger, sieht das genauso: In den nächsten 30 Jahren werde es einen Anstieg der Pflegebedürftigen um 40 bis 50 Prozent  geben. Und schon jetzt gebe es nicht genügend Plätze. Es ergebe keinen Sinn, bei der Finanzierung stationär und ambulant gleichzusetzen. „Für mehr Heime werden wir das Geld nicht haben.“

DAK-Chef Overdiek schlägt vor, es müsse regionale Pflegekompetenzzentren geben. Mit ambulanten Wohngruppen und Beratungsangeboten. Da würden alle an der Pflege beteiligten Akteure koordiniert, um Pflegebedürftige optimal und auf ihre individuelle Situation zugeschnitten zu versorgen. Und da könne es auch möglich sein, dass ambulante und stationäre Pflege verzahnt werden. Da werde dann auch möglich, dass ein Patient mal vier bis acht Wochen stationär gepflegt wird und dann wieder in den ambulanten Bereich zurückgeht.

Ärztesprecher König verweist darauf, dass die schon jetzt bestehenden Pflegebüros, in denen die Menschen erfahren, was ihnen in einem Pflegefall zusteht und was sie tun müssen, viel zu wenig bekannt seien. Das müsse sich flächendeckend durchsetzen. CDU-Mann Preuß stellt fest, dass viele Leute da eher ihren Nachbarn oder Arzt um Rat fragen. Aber eine solche Beratung könne der Arzt zeitlich nicht leisten, hält  König dagegen.

Eine Lanze für das Pflegeheim bricht dann aber doch noch Pflegeheimleiterin Matthews. „Wir müssen auch fragen: Was brauchen die Angehörigen des Pflegebedürftigen? Kann man deren Engagement wirklich immer einfordern? Das kann sich ein Durchschnittsbürger oft nicht leisten. Man hat nie Feierabend, das ist der Vorteil einer stationären Pflegeeinrichtung: Man kann auch mal gehen, ohne befürchten zu müssen, dass etwas Schlimmes passiert.“

Jung und Alt – eine kreative Idee zum Schluss

Alt und Jung zusammenbringen. Das will Awo-Geschäftsführer Hildebrandt. Er sagt: „Wir planen in Zukunft jedes Seniorenzentrum mit einer angegliederten Kita. Das tut den alten Menschen gut, wenn sie 100 spielende Kinder in ihrer Nähe haben. Das ist gut für die Gesundheit und verhindert eine Ghettoisierung.“ Und: Man könne leichter Mitarbeiter für Seniorenheime anwerben, wenn diese, falls sie sonntags im Einsatz sind, dann auch ihre Kinder nebenan versorgt wissen.