Rüttgers verteidigt Sozialmodell am Zuckerhut
Der NRW-Ministerpräsident besucht Brasilien und schärft sein Profil für NRW.
Düsseldorf. Die Reichen leben in ihren abgeschotteten Villenvierteln, die Armen vegetieren am Existenzminimum: Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) erlebt derzeit auf seiner Brasilien-Tour die Auswirkungen der schrankenlosen Globalisierung hautnah.
Der Riss durch die Gesellschaft in dem Schwellenland bestätigt ihn in seiner Meinung: Die soziale Marktwirtschaft ist das Patentrezept gegen den schrankenlosen Kapitalismus. Rüttgers als Bewahrer des sozialen Ausgleichs - diese Rolle spielt er in Übersee, vor allem um daheim zu punkten.
Die politische Aktie Rüttgers ist derzeit im Höhenflug, glaubt man der Firma Rüttgers. In der Staatskanzlei und der damit aufs engste verdrahteten Parteizentrale der Landes-CDU wird mit Feuereifer darauf verwiesen, dass der Chef schon seit Jahren Firmenchefs, Banker und Manager zu mehr Bodenhaftung ermahnt und die Auswüchse der Börsenspekulationen geißelt.
"Wir liegen damit voll im Trend. Mehr noch: Wir haben ihn vorausgeahnt", frohlockt ein Büchsenspanner in der Staatskanzlei. Tatsächlich kann Rüttgers mit Fug und Recht darauf verweisen, dass er sowohl bei seinen Besuchen in London als auch noch zu Jahresanfang in den USA Politik und Wirtschaftsvertreter ermahnt hat, das gesellschaftliche Fundament nicht zu verlassen und für mehr Transparenz in ihren Geschäften zu sorgen. Damals hat niemand auf ihn gehört - auf andere Mahner übrigens auch nicht.
Die Position ist recht bequem für Rüttgers: Er kann darauf verweisen, die Gefahren - wenn auch nicht im ganzen Umfang, so doch in Ansätzen erkannt - zu haben. Das ist für seinen Stellenwert innerhalb der Bundes-CDU immens wichtig: Von Kanzlerin Angela Merkel und Rüttgers’ Konkurrenten, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, sind als Vertreter des eher wirtschaftsnahen Flügels solche Töne jedenfalls nicht überliefert.
Schon lässt Rüttgers sich in einigen Gazetten als "Sozialrebell" feiern. Das kann man als Steigerung zum "Arbeiterführer" begreifen, zu dem er sich vor drei Jahren nach seiner gewonnenen Landtagswahl in NRW ausrief.
Doch diese Selbstvergewisserung ist das eine, das andere ist die tatsächliche Wirkung auf Berlin. Dort herrscht gerade Hochkonjunktur für all diejenigen, die dem Markt Fesseln anlegen wollen. Wenn sogar FDP-Chef Guido Westerwelle verbindliche Regeln einfordert und in der CDU-Bundestagsfraktion das Wort Teilverstaatlichung nicht mehr Tabu ist, versenden sich die sozialen Signale aus Düsseldorf auf halber Strecke.
Das war noch vor zwei Jahren ganz anders: Mit seiner Forderung nach einer Generalrevision von Hartz IV trieb Rüttgers die CDU unter Merkel vor sich her, machte aus der marktradikalen Leipzig-Partei eine schmusige Wohlfühl-Union à la Düsseldorf.
Was für Rüttgers aber vor allen Dingen zählt: Er behält die Meinungsführerschaft gegenüber der SPD. Und tatsächlich liegt er zusammen mit seinem Partner FDP in NRW immer noch deutlich vor der rot-grünen Konkurrenz. Nach seriösen Umfragen schmilzt zwar der Vorsprung. Aber genau deshalb darf man auf den nächsten sozialpolitischen Vorstoß von Rüttgers gespannt sein - in NRW, nicht im fernen Brasilien.