Urteil: Ungültige Abwassergebühr - Städte riskieren Klagewelle
Richter erklären Berechnung für rechtswidrig. Bund der Steuerzahler appelliert an Kommunen.
<strong>Düsseldorf. 161 Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen haben ein großes Problem mit den Abwassergebührenbescheiden, die sie in diesen Tagen an ihre Bürger verschicken. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster vom Dezember 2007 verbietet ihnen, den bisher zugrundegelegten Kalkulationsmaßstab anzulegen. Jedoch würde die Umstellung auf die von den Richtern geforderte Berechnungsweise etwa ein Jahr benötigen, weil dafür viele Daten erhoben werden müssten.
Bürger, die sich nicht wehren, müssen Gebühr bezahlen
Bleiben die Kommunen bei der bisherigen Kalkulation, so wäre nach Einschätzung von Heinz Wirz, Vorstandsmitglied des Bundes der Steuerzahler NRW, jeder einzelne Bescheid rechtswidrig. Die Bescheide müssten allerdings von den betroffenen Bürgern vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden - denn seit November 2007 ist bekanntlich das Widerspruchsverfahren abgeschafft. Bei Bürgern, die sich nicht zur Wehr setzen, würde der Gebührenbescheid trotz fehlerhafter Rechtsgrundlage bestandskräftig. Betroffen sind diejenigen Kommunen, die die Gebühren nach einem einheitlichen Gebührenmaßstab, dem sogenannten Frischwassermaßstab erheben. Dabei wird unterstellt, dass die Menge des Abwassers, das der Gebührenzahler in die Kanalisation einleitet, etwa der Menge entspricht, die er an Frischwasser aus der öffentlichen Wasserversorgung bezogen hat. Nach dem Münsteraner Richterspruch müssen jedoch alle Kommunen eine separate Schmutzwassergebühr und eine separate Regenwassergebühr einführen. Hintergrund: Die Einheitsgebühr bevorzugt Supermärkte und Gewerbebetriebe mit großen versiegelten Flächen und geringem Frischwasserverbrauch. Auch mehrköpfige Familien mit hohem Frischwasserverbrauch werden benachteiligt.Im Verbreitungsgebiet unserer Zeitung legen laut Bund der Steuerzahler noch folgende Städte den für unzulässig erklärten Kalkulationsmaßstab an: Erkrath, Haan, Hückeswagen, Kaarst, Kempen, Meerbusch, Mettmann, Nettetal, Radevormwald, Rommerskirchen und Viersen.
Der Bund der Steuerzahler fordert, dass diese Kommunen den Bürgern eine verbindliche Zusage geben, dass die Gebühren später aufgrund der neuen Berechnung korrigiert werden. Heinz Wirz vom Steuerzahlerbund: "Dann muss der Bürger nicht klagen und kann die zunächst berechnete Gebühr bezahlen, weil die Rechnung ja später korrigiert wird."
Abwasser - ein Thema, das dringend der Klärung bedarf. In den großen Städten, die die Gebührenbescheide fürs Abwasser längst nach einer gerechten Berechnungsgrundlage erstellen, können Beamte und Bürger über diesen alten Kalauer schmunzeln. Für die Bürger vieler kleinerer Kommunen - 161 in NRW - ist dieser Klärungsbedarf aber auch in rechnerischer und rechtlicher Hinsicht vonnöten.
So hat etwa die hessische Stadt Niddatal, die die gesplittete Abwassergebühr Anfang 2006 einführte, Flugzeuge eingesetzt und Luftbilder aufgenommen, um alle versiegelten Flächen im Stadtgebiet zu ermitteln. Grundstückseigentümer wurden mit den ermittelten Werten konfrontiert, konnten Stellung nehmen.
All das kostet Geld, das auf die Gebühren aufgeschlagen wird. Letztlich wird aber auch in NRW nach Umstellung des Berechnungsverfahrens die Kostenverteilung gerechter sein - orientiert am Verursacherprinzip.
Doch so zügig scheinen die Kommunen das nicht anpacken zu wollen: Rainer Meskendahl, Kämmerer in Radevormwald, sagte unserer Zeitung, die Bescheide würden im Januar unverändert an die Bürger versandt; ansonsten warte die Stadt zunächst ab. Denn: "Das Urteil ist noch gar nicht rechtskräftig und wird wohl nochmal überprüft."
Das Beispiel In einem Einfamilienhaus mit einer versiegelten Fläche von 150 Quadratmetern werden pro Person und Jahr 40 Kubikmeter Frischwasser zu 2,50 Euro pro Kubikmeter abgenommen.
Vierköpfige Familie Sie nimmt 160Kubikmeter (4 mal 40) ab. Multipliziert mit 2,50 Euro sind das 400Euro Abwassergebühr. Weil das Regenwasser ja nicht extra berechnet wird, wird die Familie bei den unterstellten 30 Prozent für die Regenwasserbeseitigung allein dafür mit 120 Euro belastet.
Ein-Personen-Haushalt Dieser nimmt nur 40 Kubikmeter Frischwasser ab, zahlt also 100 Euro (40 mal 2,50 Euro). Trotz gleicher Grundstücksgröße und Regenwassereinleitung wie beim Vierpersonenhaushalt wird der Gebührenzahler für die Regenwasserbeseitigung nur mit 30 Prozent dieser 100 Euro, also 30 Euro belastet.