Luftangriff von Kundus: Guttenbergs Kehrtwende
Der Minister hält den umstrittenen Luftangriff von Kundus nicht mehr für „angemessen“.
Berlin. Mit angespannter Stimme ergreift Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) das Wort. Immer wieder hatte er gestern im Bundestag während der aufgeheizten Debatte über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes seine Rede überprüft, Notizen gemacht, Sätze gestrichen.
Er hatte aufgemerkt, als der SPD-Außenexperte Hans-Ulrich Klose sagte: "Die entscheidende Frage ist: War die Bombardierung ein Fehler?" Um 17.25 Uhr geht Guttenberg ans Pult. Sechs Minuten später sitzt er wieder auf der Regierungsbank. Er atmet tief durch. Mit wenigen Sätzen hat er die Welt der Bundeswehr verändert.
Im Plenarsaal ist es bedrückend still. Der oberste Dienstherr der deutschen Streitkräfte hat seine Bewertung korrigiert, dass der von einem deutschen Oberst angeordnete Luftangriff am 4. September in Afghanistan militärisch angemessen war: "Aus heutiger Sicht war er militärisch nicht angemessen." Guttenberg verweist auf die erst in der vorigen Woche aufgetauchten Berichte, die die Bundeswehr selbst zu zivilen Opfern und Verstößen gegen Einsatzregeln verfasst - und ihm bei seiner Amtsübernahme nicht vorgelegt hatte.
Dem jungen Politiker gelingt aber der Spagat, den Mann zu schützen, der die Bombardierung zweier in einem Flussbett steckengebliebener Tanklaster befohlen hatte, bei der bis zu 142 Menschen starben oder verletzt wurden - darunter viele Zivilisten. Auch aus der Opposition wird Guttenberg dafür Respekt erwiesen.
Der Minister mahnt, jeder solle prüfen, wie er selbst in der Lage von Oberst Georg Klein gehandelt hätte. Unter dem Eindruck der Trauer um eigene gefallene Kameraden, der zunehmenden Gefechte in der Region, der kriegsähnlichen Zustände in der Region Kundus und der Sorge um den Schutz der deutschen Soldaten. Oberst Klein sei subjektiv von der militärischen Angemessenheit seines Handelns ausgegangen.
Mehrere hundert Abgeordnete applaudieren, darunter Franz Josef Jung. Der CDU-Abgeordnete hat sich einen Platz in der sechsten Reihe gesucht, fernab von der Regierungsbank. Seine Wangen sind leicht gerötet. Erst vor einer Woche war Jung als Arbeitsminister zurückgetreten, um Verantwortung für sein vorheriges Amt zu übernehmen - für die Affäre um den Luftangriff und die Verheimlichung ziviler Opfer.
Der Bundestag beschloss gestern, dass die deutschen Soldaten ein weiteres Jahr in Afghanistan bleiben. Die Obergrenze von 4500 Bundeswehr-Soldaten bleibt zunächst unangetastet.
Die USA werden nach den Worten ihres Sondergesandten für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, auch keinen Druck auf Deutschland ausüben, mehr Soldaten zu schicken. Es bleibe den Deutschen selbst überlassen, über das weitere Vorgehen zu entscheiden, sagte Holbrooke. Die Bundeswehr habe schon mehr als 30 Soldaten in Afghanistan verloren, das sei "historisch". Er habe daher Verständnis für die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), mit einer Entscheidung über zusätzliche Truppen bis zur internationalen Afghanistan-Konferenz in London im Januar zu warten.