Merkel sucht Ausweg aus dem Steuer-Streit
Die Kanzlerin will mit dem Kieler Regierungschef Carstensen über ein Einlenken verhandeln.
Berlin. Erregt sprang der Kanzler auf: "Ihr habt jetzt genug gekriegt. Ich muss jetzt weg", beschied Gerhard Schröder die Bittsteller aus den Ländern. Seinen Triumph hatte der Sozialdemokrat da schon in der Tasche. Geschickt geködert, kippten Mitte Juli 2000 fünf Landesregierungen um und bescherten Rot-Grün bei der Steuerreform einen unerwarteten Prestige-Erfolg. Vor dem Lockruf des Geldes knickten damals auch CDU-Größen wie Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen ein.
Die Blamierte war CDU-Chefin Angela Merkel. Das Steuer-Desaster hinterließ lange Zeit Spuren in Merkels Ansehen und soll sich jetzt auf keinen Fall im Streit mit den Ländern um die geplanten Steuersenkungen wiederholen. Die Schlüsselrolle bei dem Pokerspiel, um das erste große schwarz-gelbe Vorhaben über die parlamentarische Hürde zu bringen, nimmt Peter Harry Carstensen ein. Scheitert das Projekt am 18. Dezember bei der Abstimmung im Bundesrat am Widerstand der schwarz-gelben Kieler Landesregierung, wäre die Blamage für die jetzige Regierungschefin noch größer als vor knapp zehn Jahren.
Im Kanzleramt wird die Lage ernst genommen: Für den kommenden Sonntag hat Merkel den widerspenstigen Carstensen gemeinsam mit Wolfgang Kubicki, dem starken Mann der Waterkant-FDP, ins Kanzleramt gebeten, um nach Auswegen zu suchen.
Per kalkuliertem Eklat samt Wutausbruch ("Ihr habt sie doch nicht alle") hatte Carstensen die Messlatte für den politischen Wegezoll, den die Kieler für ihre Zustimmung erwarten, ziemlich hoch gelegt. Merkels Spielräume sind nicht gerade groß. Ein einfaches Einknicken der Schleswig-Holsteiner ist kaum zu erwarten.
Deshalb könnte es auf einen vorweihnachtlichen "Basarhandel" im Kanzleramt hinauslaufen. Im Gespräch ist etwa, die Kieler mit zusätzlichen Geldern für den Straßenbau zu ködern. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) brachte am Wochenende eine weitere Variante ins Spiel, um noch mehr ablehnende Landesregierungen umzustimmen. "Wir arbeiten an einem politischen Gesamtkunstwerk", verkündete die Merkel-Vertraute. Sie stellte den Ländern als Kompensation höhere Zuwendungen im Bildungsbereich in Aussicht.