Merkels Atom-Kompromiss
Nach wochenlanger Debatte einigen sich Union und FDP auf längere Laufzeiten für die 17 Kernkraftwerke.
Berlin. Die Regierungsmaschine auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel wartet schon. Gleich wird Angela Merkel aufbrechen zu einer zweitägigen Dienstreise nach Litauen und Lettland.
Doch nach zwölf Stunden Verhandlungsmarathon bis spät in die Nacht will die Bundeskanzlerin zumindest ein wenig die Deutungshoheit darüber behalten, was der Atomgipfel vom Vortag gebracht hat.
Aus ihrer Sicht: einen Erfolg. Aus Sicht der Opposition: eine "reaktionäre Rolle rückwärts in die 80er Jahre", wie es Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin ausdrückt. Oder wie SPD-Chef Sigmar Gabriel, der Union und FDP schlicht Käuflichkeit vorwirft, weil sie die Sicherheit der Bevölkerung an die vier großen Stromversorger "verkauft" habe.
Merkel lässt sich von derlei Begleitmusik nicht irritieren. Die Bundeskanzlerin spricht erkennbar gut gestimmt von einem "weitreichenden Konzept", mehr noch, von dem wohl "effizientesten und umweltverträglichsten" Plan für Energieversorgung "weltweit".
Ihre Fachminister für Umwelt und Wirtschaft, Norbert Röttgen (CDU) und Rainer Brüderle (FDP), werden etwas später in einem gemeinsamen Presseauftritt die Details erklären. Doch die Kanzlerin skizziert zumindest in groben Zügen die Einigung.
So werden die 17deutschen Atomkraftwerke in zwei Gruppen eingeteilt, von denen die älteren Meiler acht Jahre länger und die jüngeren Reaktoren 14 Jahre länger laufen dürfen als im rot-grünen Atomausstieg vereinbart.
Dass der Bundesrat über den Umweg des Bundesverfassungsgerichtes, bei dem einzelne Länder, aber auch SPD und Grüne Klagen einreichen wollen, das gesamte Atompaket wieder aufschnüren könnte, wollen Merkel und ihre Fachminister erstmal nicht glauben. Die Verfassungsressorts für Inneres und Justiz hätten den Atomhandel geprüft. Ergebnis: Werden die Laufzeiten "moderat" verlängert, muss der Bundesrat nicht gefragt werden.
Röttgen und Brüderle, die vor Wochenfrist noch jeweils unterschiedliche Zahlen bei den Atomlaufzeiten favorisiert hatten, geben sich nun einvernehmlich. Brüderle ist wohl etwas mehr zufrieden mit dem Ergebnis als sein Kabinettskollege, dem ein Laufzeitplus von weniger als zehn Jahren lieber gewesen wäre.
Die Atomkonzerne müssen von 2011 bis 2016 jährlich 2,3 Milliarden Euro Brennelementesteuer abführen plus nochmals 1,4 Milliarden Euro in diesem Zeitraum als Sonderabgabe in einen Fonds zur Förderung von Ökostrom einzahlen. Außerdem sollen von 2017 an, wenn Atomsteuer und Sonderabgabe ausgelaufen sind, jeweils neun Euro je Megawattstunde Atomstrom in den Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien fließen.