Richterschelte von oberster Stelle: Verfassungsgericht ermahnt Kollegen
Karlsruhe setzt sogenannten Deals Grenzen, mit denen für geständige Angeklagte Strafrabatte ausgehandelt werden können.
Karlsruhe. Den eigenen Berufsstand ins Gebet zu nehmen, ist den Verfassungsrichtern sicher nicht leichtgefallen. Aber die Missstände bei den sogenannten Deals in der Strafjustiz sind zu offensichtlich. Im Verlangen, Verfahren möglichst schnell und unkompliziert über die Bühne zu bringen, haben etliche Richter, unterstützt von Staatsanwälten und Verteidigern, das Recht- sprechen aus den Augen verloren. Das müsse sich ändern, droht das Verfassungsgericht. Andernfalls sei diese Praxis nicht mehr mit der Verfassung vereinbar.
Präsident Andreas Voßkuhle findet klare Worte, spricht von einer „sehr ernst gemeinten Mahnung an alle Akteure in einem Strafverfahren“. Er ermahnt Richter, Staats- und Rechtsanwälte, die rechtlichen Grundsätze nicht Praktikabilitäts-Erwägungen zu opfern, „auch wenn dies im Einzelfall viel Aufwand und Mühe kostet“. Die seit 2009 offiziell eingeführte Möglichkeit, Urteile abzusprechen, sei keine Einladung zum Handel mit der Gerechtigkeit.
Grundsätzlich hat das Gericht nichts an den Verfahrensverkürzungen auszusetzen. Doch Karlsruhe kritisiert die Praxis, die auch durch eine Studie belegt worden war: Sie zeigte, dass es merkwürdige Sitten gibt: Da werden Geständnisse nicht mehr auf ihre Richtigkeit geprüft oder Strafrahmen willkürlich festgesetzt, um Angeklagte zu erschrecken oder zu locken. Manchmal wird in der Hauptverhandlung verschwiegen, dass es längst einen „Deal“ gibt — und nicht selten ist dieser zwischen Tür und Angel ausgehandelt worden. „Informell“ wird das dann genannt.
Ein beschönigender Begriff, wie die Verfassungsrichter anmerken. Ein solches Vorgehen ist schlicht untersagt. Das gilt auch für sogenannte Gesamtlösungen, bei denen Staatsanwälte den Angeklagten versprechen, andere Ermittlungsverfahren gegen sie einzustellen, wenn sie kooperieren.
Das Fazit der Karlsruher Richter: Es gibt ein „erhebliches Vollzugsdefizit“. Die Verfassungsrichter attestieren den Strafjuri-sten ein nur unzureichend ausgeprägtes Bewusstsein, „dass es Verständigungen ohne die Einhaltung der Anforderungen des Verständigungsgesetzes nicht geben darf“.
Für die Strafjuristen bedeutet dies, Abschied zu nehmen vom liebgewonnenen, schnellen „Deal“. Auch eine Urteilsabsprache muss künftig gründlich vor- und nachbereitet werden.