SPD Scholz und Nahles werben für GroKo: Die Beschwörung der Basis

Nagende Zweifel und heilige Versprechen: Wie Scholz und Nahles mit der SPD-Basis auf der Regionalkonferenz in Hannover über die Groko diskutieren.

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Hannover. Drei rote Punkte hat jeder der rund 400 SPD-Genossen, die an diesem Samstagnachmittag zur „Dialogveranstaltung“ in die Niedersachsenhalle in Hannover gekommen sind. Die darf man am Eingang auf Plakate kleben, auf denen Fragen zum Koalitionsvertrag geschrieben sind. Die meisten Punkte finden sich bald bei der Frage, wie die SPD sich erneuern kann, wenn sie gleichzeitig regieren „muss“. Die SPD veranstaltet ihre insgesamt sieben Regionalkonferenzen zur laufenden Urabstimmung im Stil eines Seminars der Erwachsenenbildung. Zum Vorschein kommt eine tief verunsicherte und gegenüber ihrer Führung höchst misstrauische Partei.

Die Teilnehmer stehen zufällig zusammengewürfelt an Hochtischen, auf denen große Papiere und Filzer liegen. Jeweils einer der prominenten Verhandler, die aus Berlin dazu gekommen sind, gesellt sich zu den Runden und redet möglichst wenig. Zuhören ist angesagt. Olaf Scholz, kommissarischer Parteivorsitzender, schafft das an seinem Tisch keine fünf Minuten. „Wir sollen hier bespaßt werden“, sagt eine Frau, als sie die Halle betritt, macht später aber eifrig mit. Was halbwegs Konsens ist an jedem Tisch, wird mit den Filzern aufgeschrieben: „Wie kann die SPD wieder glaubwürdig werden und nicht mehr Umfallerpartei sein?“ „Gibt es einen Punkt in dem Vertrag, für den ihr die Koalition auch mal platzen lasst?“ „Wie kann unsere Sprache wieder verständlicher werden?“

In Hannover, so der Eindruck, ist es eine achtbare Minderheit von vielleicht 30 Prozent, die bei der Urabstimmung mit Nein votieren wird. Morgens in Hamburg, bei der ersten Regionalkonferenz, sind es weniger. Aber das ist auch ein Heimspiel für Groko-Befürworter Scholz, der dort Bürgermeister ist. Und die schwierigen Landesverbände, Berlin etwa oder Nordrhein-Westfalen, kommen erst noch. Viele in Hannover haben Angst um die Partei. An einem Tisch sagt eine ältere Frau: „Gestern hat einer gesagt, uns kann es auch so gehen wie den Sozialisten in Frankreich. „Wie?“, fragt ein anderer. „Na, weg, ganz weg.“

Die designierte neue Vorsitzende Andrea Nahles, die zu Beginn auf der Bühne ein paar Minuten zur Einleitung hat — einige Jusos achten eifersüchtig darauf, dass die Promis nicht zu lange reden — versucht den Blick auf die Verhandlungserfolge zu lenken. Die Rente, die Einschränkungen bei der sachgrundlosen Befristung, die Pflege. Niemand fragt in den Diskussionsrunden an den Tischen später dazu nach. Und Olaf Scholz’ Satz, dass der Koalitionsvertrag laut Computeranalyse zu 70 Prozent mit dem SPD-Wahlprogramm übereinstimme, verpufft regelrecht.

Besser kommt da schon Stefan Weil an, niedersächsischer Ministerpräsident. Ob die SPD Wahlen gewinne oder nicht, sagt er, hänge nicht von Koalitionen ab. Sondern auch vom eigenen Selbstvertrauen. Das habe man ja bei seiner erfolgreichen Landtagswahl im Oktober gesehen. Da klatschen sie. Aber Niedersachsen ist nicht der Bund. Am Tisch, an dem Olaf Scholz mitdiskutiert, sagt der erste, schon wegen der AfD müsse es wieder klare Alternativen geben. Und der zweite, die Leute könnten die SPD nicht mehr von der CDU unterscheiden. „Die sagen, ist doch egal, was man wählt, kommt immer große Koalition.“ Ein dritter findet, keiner der bisher schon Minister war, dürfe es wieder werden, „außer vielleicht Barley, die ist ja neu“. Eine Frau erklärt, dass „überhaupt nicht klar wird: Wo wollen wir eigentlich hin als Partei?“

Scholz und Nahles mühen sich redlich, diese Bedenken zu zerstreuen, indem sie immer wieder betonen, dass Regieren das eine und Profilieren das andere sei. Ja, sagt Nahles, sie wisse, dass die SPD zwei Mal aus großen Koalitionen schlecht herausgekommen sei, und die große Frage sei, ob es diesmal anders ausgehe. Davon, betont sie, sei sie überzeugt, „auch weil der Göttinnenglanz verblasst: Meine Güte, sie heißt Merkel und kommt aus Meck-Pomm“. Keine Angst, soll das wohl heißen.

Nahles’ großes Versprechen an die SPD-Basis lautet, dass sie die Identität der Partei ganz persönlich hochhalten wird in der großen Koalition: „Deswegen gehe ich nicht ins Kabinett.“ Wie zum Beweis teilt sie schon mal kräftig gegen den künftigen Koalitionspartner aus, dem sie „nicht bis zur nächsten Ecke traut“. Einige nicken ihr bei diesen Worten zu, andere gucken sie bloß an. Am nächsten Tisch schreiben die Genossen auf ihre Tafel: „Andrea, welche Garantie gibst du uns, dass du für die Partei arbeitest und nicht für die Regierung?“