Streitgespräch: Müller, Meyer und die Atomkraft
Umwelt-Staatssekretär Michael Müller (SPD) gegen Wirtschaftsexperte Laurenz Meyer (CDU): Soll Deutschland weiter auf die umstrittene Kernenergie setzen?
Herr Müller, US-Präsident Bush hat der Bundesregierung indirekt unterstellt, sie würde keine ernsthafte Klimapolitik betreiben. Trifft Sie das?
Müller: Überhaupt nicht. Aber der Witz ist nicht besonders gut: Die USA betreiben über 100 Atomkraftwerke und haben gleichzeitig den größten CO2-Ausstoß.
Wir steigen aus der Atomkraft aus, beziehen unseren Strom schon heute zu 14 Prozent aus erneuerbaren Quellen und haben unsere CO2-Emissionen schon um fast 20 Prozent gegenüber 1990 gesenkt. Das ist einzigartig auf der Welt. Warum sollten wir uns dafür vor den anderen genieren?
Herr Meyer, hatten Sie Mitleid mit der Kanzlerin? Sie musste den Atomausstieg beim G8-Gipfel verteidigen, obwohl sie eher eine Befürworterin der Atomenergie ist.
Meyer: Sie muss einen schweren Job erledigen. Überall in der Welt glaubt man, man brauche für einen verbesserten Klimaschutz Kernkraftwerke. In einigen Ländern ist man sogar der Meinung, man müsse neue bauen.
Teilen Sie die Meinung?
Meyer: Auf absehbare Zeit geht es nicht um die Frage, neue Kernkraftwerke zu bauen. Das mag eine Frage sein, mit der sich möglicherweise künftige Politiker-Generationen beschäftigen, ohne dass sie durch unsinnige Festlegungen im Grundgesetz gebunden sind.
Bei uns geht es jetzt nur darum, ob die Laufzeit der bestehenden Kraftwerke verlängert wird, um den Übergang zu anderen Energiealternativen hinzubekommen.
Müller: Wenn Sie sagen, der weltweite Trend gehe in Richtung Atomenergie, widerspreche ich Ihnen energisch. 31 Staaten auf der Erde nutzen Atomenergie. Allein in den vergangenen sechs Jahren haben 48 Staaten den deutschen Weg übernommen, erneuerbare Energien zu fördern.
Keiner will im Moment in Deutschland ein Atomkraftwerk neu bauen. Warum widersetzen Sie sich einer Laufzeitverlängerung, Herr Müller?
Müller: Anders als Herrn Meyer geht es mir um eine Energiewende, und zwar so schnell wie möglich. Wir müssen Energie dezentral herstellen, wir brauchen mehr Effizienz und Innovation.
Wer jetzt Laufzeiten von AKWs verlängert, nimmt den Druck aus dem Kessel, hier schnell voranzuschreiten. Das würde uns zurückwerfen.
Meyer: Natürlich müssen Effizienz und der Einsatz regenerativer Energien unser politischer Schwerpunkt sein und bleiben, da sind Herr Müller und ich nicht auseinander.
Bis 2020 müssen rund 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Die Frage ist lediglich: Woher bekommen wir die restlichen 70 Prozent? Wir brauchen einen Mix, der umwelt- und sozialverträglich ist. Energie muss auch bezahlbar sein.
Müller: Wir müssen von dem Gedanken Abschied nehmen, dass Energie in der Zukunft billig ist. Das gilt für alle Rohstoffe, nicht nur fürs Öl. Das bedeutet: Es stellt sich daher nicht mehr nur die Frage nach dem Mix.
Wichtiger ist: Wie kann ich maximal Energie einsparen? Technisch gibt es ein Einsparpotenzial in Deutschland von 45 Prozent, das nicht genutzt wird.
Meyer: Es ist ganz interessant, dass ausgerechnet die, die von Energie-Einsparung sprechen, im gleichen Atemzug davon schwärmen, dass unsere Autos in nicht allzu ferner Zukunft mit Strom betrieben werden.
Zusätzliche Effizienz führt also unter dem Strich nicht unbedingt zu Stromeinsparungen. Wir werden im Gegenteil mehr Strom brauchen. Deshalb müssen Sie die Frage beantworten, woher dieser Strom kommen soll.
Müller: Diese Elektroautos werden uns, wenn wir ehrgeizig sind, in der zweiten Hälfte des kommenden Jahrzehnts in größerer Zahl zur Verfügung stehen.
In der Zeit muss es uns doch gelingen, über transeuropäische Netze die großen Möglichkeiten bei den regenerativen Energien zu nutzen, etwa Wasserstoff aus dem Mittelmeer-Raum oder Windenergie vom Atlantik. Wir müssen es nur wollen.
Meyer: Und was machen wir bis dahin? Sie müssen die Zeit überbrücken.
Müller: Entschuldigung, aber das ist Quatsch. Wir haben eine Jahreshöchstlast von 78000 Megawatt und eine Kapazität von 120000 Megawatt.
Was haben Sie denn gegen die Idee, Herr Müller, über eine Laufzeitverlängerung der AKW so viel Geld einzunehmen, dass man damit alternative Energieformen besser fördern kann?
Müller: Das lehnt die Stromwirtschaft doch ab. Uns fehlt es nicht an Forschung. Es fehlt der Wille, das Wissen umzusetzen.
Was spricht dagegen, in einem neuen Atomkonsens die Stromindustrie genau dazu zu verpflichten - im Gegenzug zu länger laufenden Atomkraftwerken?
Müller: Machen wir uns doch bitte nichts vor. Der Energieindustrie geht es nur darum, abgeschriebene Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, weil das Gelddruckmaschinen für die Unternehmen sind.
Meyer: Ja, aber das ist doch prima. Wir müssen nur dafür sorgen, dass das Geld nicht den Aktionären zugute kommt, sondern den Verbrauchern. Und Teile des Geldes können investiert werden in die Forschung und Entwicklung alternativer Energieerzeugung.
Ihr Nachfolger als CDU-Generalsekretär, Ronald Pofalla, hat Atomenergie als Öko-Energie bezeichnet. Wozu brauchen Sie dann alternative Energiequellen? Ist der Begriff "Öko" hier zutreffend?
Meyer: Ich finde schon, dass das der richtige Begriff ist. Die Kernenergie ist die einzige Energieerzeugungsart, die kein klimaschädliches Kohlendioxid produziert. Die Alternative ist, dass wir noch zusätzlich Kohlekraftwerke bauen müssten, die das Klima erheblich schädigen.
Müller: Bitte bleiben Sie bei den Fakten. Atomkraftwerke produzieren schon in der Entstehung jede Menge Kohlendioxid.
Meyer: Das ist bei der Solarenergie nicht anders.
Kann man die Atomkraft nicht auch deswegen nicht als "Öko-Energie" bezeichnen, weil es bis heute kein einziges Endlager für den Atommüll gibt? Wir hinterlassen nachfolgenden Generationen ein riesiges Öko-Problem.
Meyer: Ich bin enttäuscht, dass wir in der Großen Koalition nicht weitergekommen sind. Natürlich muss die Endlagerfrage gelöst werden - und zwar in Deutschland in einem parteiübergreifenden Konsens.
Müller: Ich finde auch, hier haben wir eine nationale Verantwortung.