Umstieg auf Videoaufnahmen gefordert Zeugenaussagen im Strafprozess werden handschriftlich festgehalten

Düsseldorf · Strafprozesse sollten mit Bild- oder Tonaufnahmen dokumentiert werden: Der Vorschlag von Verteidigern stößt bei Richterorganisationen auf geteiltes Echo. Denn bisher macht sich der Richter Notizen.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Strafprozesse sollten mit Bild- oder Tonaufnahmen dokumentiert werden. Das fordert der Deutsche Anwaltverein (DAV). Rainer Spatscheck, Vorsitzender des Ausschusses Strafrecht im DAV, beklagt: „Dass eine Dokumentation des Strafprozesses immer noch in der Weise stattfindet, dass der Richter handschriftlich Notizen anfertigt, wirkt nicht nur für juristische Laien vollkommen aus der Zeit gefallen.“ Eine objektive, allen Beteiligten zugängliche Protokollierung des Inhalts der Beweisaufnahme gebe es nicht.

Der Münchner Anwalt kritisiert: „Bei uns müssen am Landgericht die Richter mitschreiben und sich gleichzeitig auf das Gesagte konzentrieren. Jeder Psychologe wird Ihnen bestätigen, dass das nicht optimal funktionieren kann.“  Wortprotokolle seien Standard in der gesamten EU und gerade bei den Fragen, um die es hier geht – lange Freiheitsstrafe oder existenzbedrohende Geldstrafe – sei es nicht zu rechtfertigen, dass auf dieses Mittel verzichtet wird. Durch eine Dokumentation werde der Prozess der Wahrheitsfindung nicht nur transparenter, sondern auch für das Gericht einfacher, weil die Übereinstimmung (oder Widersprüchlichkeit)  von Zeugenaussagen leichter überprüfbar wären.

Richterverbände beurteilen
die Sache unterschiedlich

Der Deutsche Richterbund sieht das anders. Geschäftsführer Sven Rebehn: „Es gibt keinen Beleg, dass Gerichtsurteile bisher mangelbehaftet wären, weil Richter die Aussagen von Zeugen fehlerhaft dokumentiert oder falsch in Erinnerung gehabt hätten.“ Gegen Videoaufnahmen der Hauptverhandlung spreche auch das Risiko, Zeugen damit zu verunsichern. „Die Stresssituation für die Befragten verschärft sich noch, wenn der Zeuge eine Kamera auf sich gerichtet sieht und weiß, dass jedes Wort, das er spricht, und jede Bewegung, die er macht, aufgezeichnet werden.“

Ruben Franzen, Vorstandsmitglied der Neuen Richtervereinigung, verweist darauf, dass schon jetzt vor Amtsgerichten die Möglichkeit besteht, die Verhandlung auf Tonträger aufzunehmen. Am Landgericht hingegen protokollierten alle Prozessbeteiligten das von ihnen Wahrgenommene selbst, und so habe am Ende jeder „seine eigene Wahrheit“. Die Neue Richtervereinigung ist der Ansicht, es solle durchaus die Verhandlung protokolliert werden. Man sei sich in dem Berufsverband allerdings nicht einig, ob dies bloß per Audio- oder auch per Videoaufnahme geschehen soll. Franzen persönlich glaubt, dass eine Videoaufzeichnung das Verfahren überfrachten würde. „Stellen Sie sich vor, die Verteidiger legen das Video später einem Aussagepsychologen vor, der auch noch seine Expertise dazu abgeben soll. Ich sehe die Gefahr, dass entsprechende massenhafte Anträge das Strafverfahren sprengen und die Prozesse nie zu Ende geführt werden könnten.“

Dass die Justiz bei dem Thema der Aufzeichnungen noch in der Vergangenheit verharrt, sei sicher auch dem Gedanken geschuldet, dass ein Richter sich lieber „aus dem eigenen Verstehen des in der Verhandlung Gesagten bedient als wenn er sich auf ein gemeinsames Verstehen einlassen muss“, sagt Franzen mit Blick auf die eigene Kollegenschaft.