Einigung mit bitterem Nachgeschmack - Hebammen mit Nachwuchsmangel
Stuttgart/Dresden (dpa) - Für viele Frauen ist die Geburtshilfe ein Traumjob. Doch auf den Hebammen lasten hohe Kosten. Daran ändert auch die jüngste Einigung mit den Krankenkassen nichts.
Ruth Hofmeister schwärmt von ihrem „total schönen Beruf“. Die Hebamme aus Stuttgart liebt es, Eltern während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu begleiten. „Das hat einen Zauber, dass nach all den Anstrengungen dieses Wunder der Geburt passiert.“
Doch die Jahrtausende alte Profession wird den Geburtshelferinnen durch rapide steigende Prämien für die Haftpflichtversicherung schwer gemacht. Auch der jüngste Kompromiss zwischen Krankenkassen und Deutschem Hebammenverband über höhere Vergütungen als Ausgleich stößt nicht auf uneingeschränktes Lob. „Die Einigung hat einen bitteren Nachgeschmack“, findet Hofmeister.
„Zuerst haben wir uns total gefreut“, erzählt die 28-Jährige. Aber bei genauerem Hinschauen fiel ihr der Haken auf: Die höchste Vergütungssteigerung von 17 Prozent betrifft die kleinste Gruppe unter den rund 3000 freiberuflichen Hebammen - nämlich die, die Hausgeburten machen. Die größte Gruppe, die Beleghebammen an Kliniken, bekommen nur sieben Prozent mehr.
Hofmeister, die in einer Geburtspraxis arbeitet, liegt mit einem Plus von zwölf Prozent dazwischen. Und die Vereinbarung gelte nur ein Jahr. Die freiberuflichen Hebammen dringen aber auf eine langfristige Absicherung. Die jetzige Lösung sei nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Hebamme Heike Erlenkämper aus Dresden. Die Haftpflichtkosten seien nach wie vor immens.
Für Kollegin Alba O'Neill, Beleghebamme in der Stuttgarter Charlottenklinik, ist die neue Vergütung „ein Scherz“, auch wenn die Kolleginnen während der Verhandlungen ihr Bestes gegeben hätten. Sie erhält rückwirkend zum 1. Juli für eine Geburt von bis zu acht Stunden plus drei Stunden Nachsorge 284,03 Euro - 8,81 Euro mehr als bisher. Für die Haftpflichtprämie berappt sie im Monat 375 Euro.
Aber nicht nur die Vergütung, sondern auch unregelmäßige Arbeitszeiten bremsen den Idealismus der Hebammen. O'Neill erzählt, dass zwei Gläschen Wein am Abend nicht drin seien. „Ich könnte ja in der Nacht von einer werdenden Mutter gerufen werden.“ Schlafstörungen und Rückenschmerzen sind nach ihrer Beobachtung Berufskrankheiten. „Der Beruf ist superanstrengend“, resümiert die 48-Jährige.
Lena Jung hat sich schon vor einem Jahr wegen des erhöhten Beitrags zur Haftpflichtversicherung aus der Geburtshilfe verabschiedet. Jetzt hält sie sich mit Vor- und Nachsorge mehr schlecht als recht über Wasser. „Die Nachsorge bringt finanziell kaum etwas, kostet aber viel Zeit“, meint die 26-jährige Stuttgarterin.
Grund für die verfahrene Lage ist aus ihrer Sicht die Rechtsprechung in Schadensfällen. Zwar steige die Zahl der bei der Geburt geschädigten Kinder nicht, aber die Gerichte sprächen den Krankenkassen Millionensummen zu, die die Versicherungen nicht mehr verkraften können. „Es ist gut, wenn die Kinder die bestmögliche Versorgung erhalten. Aber die Kosten dafür dürfen nicht über die Haftpflicht auf die Hebammen umgelegt werden“, meint Jung.
Kollegin Hofmeister verweist auf die niederländische Lösung, wo ein staatlicher Fonds bei hohen Schadensfällen infolge von Geburten einspringt. Kaum eine Hebamme hat nicht schon einmal mit dem Ausstieg geliebäugelt. „Wir alle haben uns schon mit dem Gedanken getragen, aufzuhören“, beschreibt Erlenkämper die Stimmung im Dresdner Hebammenhaus. Die Zukunft des Berufes werde immer unsicherer.
Marlies Stange kann sich eine Geburt ohne Hebamme nicht vorstellen. Die Mutter eines drei Wochen alten Sohnes hat zu Alba O'Neill seit dem fünften Schwangerschaftsmonat Vertrauen aufgebaut. „Sie war während des Kaiserschnittes bei mir, legte mir das Kind auf die Brust und ist für alle Fragen erreichbar.“ Die Nachsorge zu Hause sei sehr wichtig, weil viele nicht gleich mit der neuen Situation zurechtkommen. „Gäbe es keine Hebammen mehr, wäre das eine Katastrophe für die Frauen.“