Karrierekiller Diagnose: Kaum Arbeit für psychisch Kranke
Berlin (dpa) - Dietmar Linne suchte einen Hausmeister für seine Firma. Der Bewerber schien ideal, bis auf diesen einen Punkt in der Bewerbung: Er war psychisch krank.
„Wenn ich als Arbeitgeber jemanden einstelle, verspreche ich mir einen Mehrwert“, sagt Linne. Ein Hausmeister müsse einfach zuverlässig sein. Linne war skeptisch, stellte den Mann trotzdem ein - und hat es nie bereut.
Doch so wie der Göttinger handeln noch immer wenige Unternehmen. Nur 10 bis 20 Prozent der schwer psychisch Kranken fänden einen Job, sagt Iris Hauth, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Zukunftsträume zerplatzen mit der Diagnose. Oft ist die Karriere schon zwischen Schule und Arbeitsmarkt vorbei.
Ein bis zwei Prozent der erwachsenen deutschen Bevölkerung, davon gehen die Experten aus, sind schwer psychisch krank. Sie haben Depressionen, schizophrene Störungen, sind manisch-depressiv. Bis zu einer Million Menschen könnten betroffen sein, wird geschätzt.
Wenn sie Arbeit haben, dann oft in Behindertenwerkstätten, hat eine Studie von Leipziger Wissenschaftlern ergeben. Die Arbeitsagenturen vermitteln sie nach eigenen Angaben oft im Niedriglohnbereich. Dabei wäre mit ein wenig Unterstützung auch ein „normaler“ Job drin. 52 Prozent der psychisch Kranken, davon geht man bei der Bundesagentur für Arbeit aus, sind grundsätzlich weiter erwerbsfähig.
„Der Wunsch nach normaler Arbeit ist bei psychisch Kranken sehr groß“, sagt Arbeitsmedizinerin Steffi Riedel-Heller. Viele Unternehmen sind jedoch zögerlich. „Sie haben Sorge, dass jemand nicht leistungsfähig ist“, weiß Christina Ramb von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. Gerade dass psychische Erkrankungen im Vergleich zu körperlichen Behinderungen wenig kalkulierbar seien, mache eine Anstellung schwierig. „Psychisch Kranke bringen eine Unstetigkeit in der Leistungsfähigkeit mit“, räumt Psychologin Uta Gühne ein.
Sie hätten jedoch auch besondere Qualifikationen, betont Kathrin Zeddies. Die Berlinerin ist Rehabilitationspsychologin - und zugleich selbst betroffen. Sie hat eine Borderline-Störung, die bei Erkrankten oft mit heftigen Gefühlsschwankungen und Selbstverletzung einhergeht. Heute bezeichnet sich Zeddies als „trocken“ - auch dank „guter Ausbilder und Arbeitgeber“.
Menschen mit psychischen Erkrankungen, sagt sie, hätten eine besonders hohe emotionale Intelligenz. „Viele kommen im Privatleben nicht zurecht, geben auf der Arbeit aber mehr als 100 Prozent. Sie sind Kämpfen gewohnt.“
Im Job könnte man es ihnen mit einfachen Maßnahmen aber leichter machen, meinen die Psychologen. Home-Office-Zeiten könnten das sein, für Menschen, die sich im Großraumbüro nicht konzentrieren können. Flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, verpasstes nachzuarbeiten, wenn man sich wieder besser fühlt. „Wir haben ein paar Sicherungen eingebaut“, erzählt auch Linne. Wenn sein psychisch kranker Hausmeister sich zu sehr engagiere, das Wochenende durcharbeite, schritten sie ein.
„Man darf sich nicht am Leitbild eines Vollbeschäftigten mit acht Stunden oder mehr orientieren“, betont der Vorstandschef des Vereins Gesundheitsstadt Berlin, Ulf Fink. Er fordert finanzielle Ausgleichszahlungen für Unternehmen und dass Hilfen des Arbeitsamts statt für drei Jahre unbefristet gezahlt werden.
Wirtschaftliche Kennzahlen müssten manchmal einfach zurückstehen, betont Jens Schuster. Der Berliner ist Geschäftsführer eines jungen Unternehmens mit 25 Mitarbeitern. Eine Kollegin hat eine Borderline-Störung - „ziemlich heftig“ sagt Schuster. Aber auch: „Sie ist ein starker Rückhalt für die Firma.“ Eine psychische Erkrankung müsse für Arbeitnehmer kein Nachteil sein: „Diese Menschen haben eine viel höhere Loyalität zum Unternehmen.“