So finden Geisteswissenschaftler ihre Nische
Nürnberg (dpa/tmn) — Viele Geisteswissenschaftler wissen auch zum Ende des Studiums nicht genau, was sie arbeiten wollen. Mit ihrem Wissen passen sie auf viele Stellen - und keine. Um ihren Traumjob zu finden, sollten sie möglichst früh ihre Stärken herausfinden.
Erstmal studieren, was Spaß macht: Kulturwissenschaften, Soziologie oder Sinologie. Wer sich für ein geisteswissenschaftliches Studium entscheidet, hat meist nicht die steile Karriere vor Augen. Viele sehen sich eher als schöngeistige Akademiker. Das böse Erwachen kommt dann meist, wenn es an die Jobsuche geht. Während Ingenieure und Mediziner genau wissen, auf welche Stellen sie passen, können Geisteswissenschaftler sich auf alles und nichts bewerben. Der Weg zum Traumjob ist bei ihnen deutlich komplizierter - und erfordert gute Planung.
„Es ist blauäugig, einfach drauflos zu studieren, ohne sich Gedanken zu machen, in welche Richtung der spätere Beruf gehen soll“, sagt Frank Wießner. Er arbeitet am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Vor allem Bachelor-Studenten stünden am Ende ihres Studiums oft ohne einen durchdachten Plan da. Viele orientieren sich erst einmal an der Uni und genießen die neuen Freiheiten des Studentenlebens. Mit der beruflichen Orientierung beginnen viele zu spät.
Spätestens in der Mitte des Studiums sollten Geisteswissenschaftler sich Gedanken über mögliche Berufe machen, empfiehlt Wießner. Konkret gehen sie bei der Karriereplanung am besten in drei Schritten vor: „Als erstes sollte man drei bis fünf Ideen entwickeln, was man machen will“, erklärt die Karriereberaterin Madeleine Leitner aus München. Fragen wie „Wie wichtig ist mir die Bezahlung?“ oder „Mit welchen Menschen umgebe ich mich gerne“ sollten Studierende für sich beantworten.
Im zweiten Schritt gehe es dann um die realistische Einschätzung der Einfälle. Die Studenten sollten intensiv recherchieren, wie der jeweilige Joballtag aussieht. Dafür können sie etwa Personen befragen, die bereits in dem Beruf arbeiten - etwa Bekannte der Eltern. Zuletzt geht es darum, konkret zu planen, wie man an den Job kommt. Das könnten etwa Studentenjobs, Praktika, Volontariate oder Freunde und Bekannte sein, sagt Leitner.
Viele Studenten müssen sich zwar gewissen Zwängen stellen - und bei Jobs den nehmen, der am besten bezahlt ist. „Trotzdem ist es am sinnvollsten, in Bereichen zu arbeiten, in denen man später einen Job sucht“, empfiehlt Wießner. So knüpfen Studenten früh Kontakte und sammeln Praxiserfahrungen. Häufig besetzten Arbeitgeber ihre freien Stellen außerdem über persönliche Kontakte.
Gleichzeitig ist es für Geisteswissenschaftler besonders wichtig, die eigenen Stärken zu erkennen. Das ist jedoch nicht leicht. Um sich selbst kennenzulernen, helfen Nebenjobs oder Ehrenämter, sagt Wießner. Dort bekommen junge Menschen Feedback und einen ersten Eindruck, was sie gut können.
Gut sind auch Seminare zur beruflichen Orientierung - wie viele Hochschulen sie für Geisteswissenschaftler inzwischen anbieten. Darunter ist beispielsweise der „Kompass“-Kurs der Freien Universität in Berlin. In dem einjährigen Seminar sitzen Bachelor-Studenten ab dem zweiten Semester. Ein Thema ist etwa, die eigenen Stärken und Schwächen zu analysieren. Berufsberater begleiten die Studenten.
„Uns geht es vor allem darum, dass die Studenten herausfinden, was sie können“, erläutert die Projektverantwortliche Larisa Kolmans. Dafür bitten die Dozenten die Studierende unter anderem, ihre persönliche Erfolgsgeschichte aufzuschreiben. „Das muss gar nichts mit dem Studium zu tun haben, sondern kann auch die Organisation einer Riesen-Party sein“, erklärt die Psychologin. Anfangs seien die meisten zwar skeptisch. Viele profitierten dann aber vor allem von der Einschätzung der anderen Teilnehmer.
Eine der Teilnehmerinnen am „Kompass“-Projekt ist die 22-jährige Tamara. Sie studiert im vierten Semester Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie Sozial- und Kulturanthropologie. „Im ersten Semester des Kompass-Projektes habe ich eine Menge über mich selber erfahren“, erzählt sie. So sei ihr etwa nicht bewusst gewesen, dass sie eine hohe soziale Kompetenz habe. Auch vom Bewerbungstraining hat sie profitiert.
Kurse wie das „Kompass“-Projekt können Geisteswissenschaftlern helfen, die Suche nach dem Traumjob zu strukturieren. Eine Antwort - welches Praktikum im Einzelfall das Beste ist - bieten sie meist aber nicht. Aber das sei auch nicht entscheidend, meint Leitner. Das Wichtigste sei, einfach rechtzeitig mit der Karriereplanung zu beginnen. Auch wenn diese Phase der Suche für die meisten nicht besonders angenehm ist: Nach Leitners Erfahrung landen die wenigsten am Ende im falschen Job. Nur sei der Weg bei Geisteswissenschaftlern manchmal ein bisschen länger - und kurviger.