Der Verpackungs-Wahnsinn

Viele Produkte bringen die Verbraucher zur Weißglut, weil sie sich kaum öffnen lassen.

Düsseldorf. Der Ärger beginnt bereits nach dem morgendlichen Aufstehen. Erster Stopp beim Verpackungsmarathon: Die Tube Zahnpasta. Frisch gekauft und noch jungfräulich versteckt sie ihren Inhalt unter einer kleinen, dafür kaum abzuknibbelnden Silberfolie. Eine Fummelarbeit, die beim Start in den Tag ordentlich nervt.

Am Frühstückstisch warten die nächsten Herausforderungen. Wurstverpackungen, die sich kaum knacken lassen; die Milchtüte, die beim Öffnen erst einmal einen Teil des Inhalts auf dem Tisch verteilt. Die Liste ließe sich über den Tag beliebig erweitern - vom "Klassiker" der Fischkonservendose über Medikamente, CDs in widerspenstigen Plastikhüllen bis hin zu Elektronikverpackungen aus Hartplastik, denen ohne Schere überhaupt nicht beizukommen ist.

"Gerade für ältere Menschen sind Verpackungen oft ein Problem", sagt Erika Neubauer, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso) in Bonn. Kraft und Feinmotorik lassen im Alter nach. Wer nicht geschickt mit den Fingern sei, stoße oft an seine Grenzen, so Neubauer. "Die Wurstverpackungen vom Discounter sind manchmal so glatt, dass man immer wieder abrutscht, wenn man die Lasche zum Aufmachen sucht", beschreibt die 67-Jährige eine der häufigen Klagen von Mitgliedern.

Nicht selten ende der Versuch, den Verpackungen mit Hilfsmitteln wie Zähnen, Scheren oder Schraubenziehern beizukommen, mit Verletzungen. "In Großbritannien ist das so bekannt, dass es sogar mal Untersuchungen zur Zahl der Unfälle in diesem Zusammenhang gegeben hat. Hierzulande traut man sich das wohl nicht", sagt Neubauer. Hersteller, so ihre Vermutung, setzen ihre Prioritäten eher auf das Verpackungsdesign - und geringe Kosten.

"Die Industrie nimmt dieses Problem auf jeden Fall ernst", sagt Winfried Batzke, Geschäftsführer des Deutschen Verpackungsinstituts in Berlin. Wenn aber zum Beispiel im Supermarkt für einen Liter Milch gerade mal 50 Cent gezahlt werden, versuche der Anbieter, eben an der Verpackung zu sparen. "Die Verpackungsindustrie hat alle, auch leicht zu öffnende Lösungen parat", sagt Batzke. Aber die rechneten sich halt in vielen Fällen nicht. Zudem sei die Hauptaufgabe von Verpackungen immer noch, den Inhalt zu schützen. "Wenn ich dann eine Verpackung zu leicht öffnen kann, ist sie nicht dicht." Man müsse Kompromisse eingehen.

Bislang gebe es keine Norm, die den Schwierigkeitsgrad bei Verpackungen offenlegt, kritisiert Monika Büning vom Bundesverband der Verbraucherzentrale. Sie setzt sich für das Projekt "Ease of Opening" ein, das als Ziel ein Prüfverfahren nach DIN oder sogar international nach ISO sieht. "Verpackungen, die gut zu handhaben sind, sollen von anderen Verpackungen unterscheidbar gemacht werden. So können Verbraucher sie auch leichter finden." Dafür wären nicht nur die älteren Konsumenten dankbar, betont Büning.

Auch für Erika Neubauer sind echte "Seniorenverpackungen" keine Lösung, auch wenn es manche Produkte schon in zwei Ausführungen gibt. Sie befürwortet ebenfalls Prüfverfahren. "Diese Tests müssen dann aber auch echte Menschen machen", sagt die 67-Jährige. Ihr Tipp: Verbraucher müssten bereits jetzt reagieren und ihrem Ärger Luft machen. "Schließlich sind wir es, die die Produkte kaufen." Wenn bestimmte Artikel dank ihrer Verpackungen liegen gelassen werden, würde das auch die Hersteller zur Reaktion bringen.