Freundschaften dürfen nicht einengen
Hamburg (dpa/tmn) - Freundschaft ist „Liebe mit Verstand“, eine freiwillige Beziehung mit ihren eigenen Ritualen. Doch auch Freundschaften verändern sich. Wer sich nicht mehr an alte Gewohnheiten halten möchte oder mehr Zeit für sich braucht, sollte das Gespräch suchen.
In Zeiten von Facebook & Co. ist der Begriff „Freund“ fast inflationär geworden. In den sozialen Netzwerken haben Menschen Hunderte von angeblichen „Freunden“, die meist nur Bekannte sind. Die Zahl der wirklichen Vertrauten ist bei allen Menschen jedoch viel geringer. „Es sind bei den meisten maximal drei“, sagt der Psychotherapeut Michael Schellberg aus Hamburg.
Doch was ist überhaupt ein Freund? „Er kennt dich und mag dich trotzdem“, lautet ein nicht ganz ernst gemeintes Sprichwort. Schellberg definiert Freundschaft als „exklusive Beziehung“ und „Liebe mit Verstand“. Freunde unterstützen sich, sind loyal und verlässlich. Eine Freundschaft fördert positive Eigenschaften und die Entwicklung der Persönlichkeit. „Mit einem Freund hat man Zeit zusammen verbracht und etwas gemeinsam erlebt“, ergänzt Christa Roth-Sackenheim aus Andernach in Rheinland-Pfalz, Psychotherapeutin und Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Psychiater (BVDP).
Mit der Freundschaft werden auch Verpflichtungen eingegangen, die von Beziehung zu Beziehung variieren. Das kann der sonntägliche Brunch, das stete Mitteilen von Ereignissen oder das tägliche Telefonat sogar während des Urlaubs sein. „Es gibt in Freundschaften viele Rituale. Sie geben gerade in der heutigen Zeit Sicherheit und mildern Ängste“, erklärt Prof. Ulrich Voderholzer, Facharzt für Psychotherapie und ärztlicher Direktor an der Schön Klinik in Prien am Chiemsee.
Mittlerweile sind viele Menschen fast rund um die Uhr erreichbar. Jeder kann per SMS, Email oder Telefon mitteilen, was er gerade wo mit wem warum macht. Manchmal wird aus diesem „Kann“ ein „Muss“. Es ist schwieriger geworden, sich ohne Begründung zurückzuziehen. Doch wer mehr Zeit für sich selbst benötigt oder Gewohnheiten in der Freundschaft nicht mehr einhalten möchte, sollte dies einem guten Freund selbstverständlich sagen können. „Wenn ein solches Gespräch nicht funktioniert, hat die Beziehung ein Problem“, sagt Roth-Sackenheim. Schellberg sieht es ebenso, er plädiert auch in weniger engen Beziehungen für ein stets offenes Miteinander.
Diplomatie ist seiner Meinung nach nicht angebracht. „Man muss doch nicht denken, dass man den anderen stets schonen muss. Damit schürt man falsche Hoffnungen“, sagt er. Notlügen und das Vermeiden von Konflikten führten zu immer weiteren Konflikten. Jeder sollte in einer Beziehung freundlich und wertschätzend seine Meinung sagen. „Man muss wissen, was man will. Keiner ist auf der Welt, um dem anderen immer zu gefallen.“ Roth-Sackenheim hält dagegen Notlügen unter Bekannten nicht unbedingt für schädlich. „Damit kann jeder sein Gesicht wahren“, meint sie.
Bei Gesprächen rät Prof. Voderholzer, die „Grundregeln der guten Kommunikation“ einzuhalten. Vorwürfe seien fehl am Platz. Richtig sei es, Ich-Botschaften zu senden und die eigenen Gefühle anzusprechen, zum Beispiel mit Sätzen wie „Ich fühle mich nicht beachtet“ oder „Mir geht es schlecht dabei“.
Schwierig wird es, wenn in einer Freundschaft das Gefühl einer Einengung und Kontrolle entsteht. „Freundschaft basiert auf Vertrauen. Kontrolle ist ein Zeichen von Unsicherheit“, erklärt Voderholzer. So fürchten diese Menschen zum Beispiel um die Freundschaft, wenn der andere das wöchentliche Treffen absagt oder von neuen Bekanntschaften berichtet. Sie rufen häufig an, möchten alles von dem anderen wissen - dieser Kontrollzwang kann sogar krankhaft werden und sich immer mehr steigern. Dabei fühlen sie sich selbst nicht wohl. „Das alles ist für eine Beziehung extrem belastend“, sagt Voderholzer. Er rät auch hier zu einem klärenden Gespräch.
Wer selbst vom Freund oder der Freundin einen Korb bekommt, sollte gelassen reagieren. „Das Allerwichtigste ist, es nicht allzu persönlich zu nehmen. Der andere hat dafür seine Gründe“, sagt Roth-Sackenheim. Voderholzer rät, auch die positiven Seiten zu sehen, wenn der andere etwa eine zum Ritual gewordene Verabredung absagt. „Dann hat man Zeit für etwas anderes.“