Schubs aus dem Nest - Ausziehen tut erwachsenen Kindern gut
Berlin (dpa/tmn) — Die Zahl der jungen Erwachsenen, die noch bei den Eltern wohnen, steigt. Nicht immer stecken finanzielle Gründe dahinter. Manchmal ist es im Hotel Mama einfach zu gemütlich. Da hilft nur eine klare Ansage der Eltern.
Mama und Papa sind cool, man versteht sich blendend, es ist gemütlich, der Kühlschrank gefüllt. Warum sollte man ein solch perfektes Nest verlassen? Einige junge Erwachsene denken gar nicht daran, auszuziehen. Gehen sie das aber von selbst nicht an, müssen Mutter und Vater ihrem Nachwuchs einen Schubs geben.
Nicht jeder junge Erwachsene bleibt allerdings freiwillig zu Hause wohnen. „Die Ausbildungszeit dauert heute deutlich länger als früher, so dass die meisten jungen Menschen später in den Job einsteigen“, erklärt Walter Bien vom Deutschen Jugendinstitut in München.
Große finanzielle Sprünge sind während Ausbildung oder Studium nicht drin, viele sind auf die Unterstützung der Eltern angewiesen. Außerdem verschärft sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt, günstige Wohnungen sind kaum zu bekommen.
All dies hat dazu geführt, dass die Zahl der 18- bis 34-Jährigen steigt, die noch im elterlichen Haushalt leben. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wohnten in dieser Altersgruppe im Jahr 1996 noch 30 Prozent bei den Eltern, 2011 waren es 33 Prozent. Dabei ist der Nesthocker vor allem männlich: Mit 30 Jahren wohnt etwa jeder achte Mann (13 Prozent) bei den Eltern, bei den Frauen jede Zwanzigste (5 Prozent). Ein Grund: Frauen heiraten früher als Männer.
Etwa ein Drittel der Nesthocker hat es sich bequem gemacht bei Mama und Papa, stellte die Entwicklungspsychologin Christiane Papastefanou aus Ludwigshafen in mehreren Studien fest. Und doch läuft das Zusammenwohnen der jungen Erwachsenen mit Vater und Mutter selten reibungslos. „Weder Eltern noch Kinder kommen aus ihrer Rolle heraus“, sagt Papastefanou.
„Vor allem Eltern müssen sich hier an die eigene Nase fassen“, sagt Heidemarie Arnhold, Vorsitzende des Arbeitskreises Neue Erziehung in Berlin. „Sie senden oft doppelte Botschaften.“ Vater und Mutter wünschen sich zwar nach zwanzig Jahren der Konzentration auf den Sprössling wieder mehr Zeit für ihr eigenes Leben. Sie wollen nicht mehr die Wäsche ihres Kindes waschen und bügeln — tun es aber trotzdem.
Gefragt ist daher Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Eltern müssen überlegen, warum ihr Kind nicht auszieht — liegt es an ihnen, ist es die pure Bequemlichkeit, oder hat das Kind Angst, hinaus ins Leben zu gehen? Dann könnte professionelle Hilfe durch einen Psychologen helfen.
Haben sie dies für sich geklärt, steht das Gespräch mit dem Kind an. Darin sollten Eltern ihm klar machen, dass es ausziehen muss. „Eltern sollten klar sagen, wie die Situation aussieht und was sie wollen“, rät Bien.
Manch einer fürchtet, dem Kind damit das Gefühl zu geben, es sei lästig und unerwünscht. „Nein, das hat nichts mit Ablehnung zu tun“, widerspricht Arnhold. Es gehe nicht darum, unfreundlich oder barsch zu sein. „Weich zum Menschen, hart in der Sache.“
Um ein solches Gespräch kommen die Eltern nicht herum — sie brauchen nicht zu hoffen, dass Andeutungen reichen, damit das Kind begreift, was sie wollen.
Der Auszug gehört zur Ablösung von Eltern und Kind dazu. Das Kind bleibt immer Kind, aber wird als Erwachsener behandelt. Und manche Mutter, die Sohn oder Tochter schweren Herzens den Schubs aus dem behaglichen Nest gegeben hat, stellt erleichtert fest, dass der Nachwuchs von seinem neuen Leben im eigenen Nest begeistert ist.