Organspende-Stiftung: Potenzielle Spender haben Misstrauen

Berlin (dpa) - Experten überprüfen Kliniken, ein neues Transplantationsregister ist geplant und Prominente werben für die Organspende. Doch nur wenige Menschen spenden ihre Organe.

Vor einem Jahr (20. Juli) wurde der Transplantationsskandal an der Universitätsklinik Göttingen bekannt. Es folgten Fälle in München, Regensburg und Leipzig. Ärzte hatten die Krankenakten von Patienten so manipuliert, dass sie schneller neue Organe bekamen als andere. Seitdem gebe es weniger Spender, sagt Rainer Hess, Chef der Deutschen Stiftung Organtransplantation, im Interview:

Wie sieht die Spende-Statistik in Deutschland im Moment aus?

Hess: Im Vergleich zur Halbjahresbilanz des Vorjahres ist die Zahl der Organspender um 18,3 Prozent zurückgegangen. Es sind rund 12 000 Patienten, die ein Organ benötigen, und wir haben gleichzeitig einen Rückgang bei den Transplantationen um 12,3 Prozent. Im vergangenen Jahr hatten wir den tiefsten Stand seit 2002.

Worauf führen sie den Vertrauensverlust zurück?

Hess: Sicherlich führe ich das auf die Wartelisten-Manipulationen zurück, weil dadurch ja in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass die Organe an falsche Personen abgegeben wurden. Das beeinträchtigt das Vertrauen, weil derjenige, der spendet, natürlich die Gewissheit haben will, dass es die Richtigen bekommen.

Wie kann man das Vertrauen in die Organspende zurückgewinnen?

Hess: Man muss vor allem den Menschen deutlich machen, dass durch diese Manipulationen an der Warteliste die Notwendigkeit der Organspende letztlich nicht beeinträchtigt worden ist. Denn alle, die ein Organ bekommen haben - mögen sie auch auf der Warteliste tiefer gestanden haben - , haben dieses Organ ja nötig gehabt. Alle gespendeten Organe sind auch eingesetzt worden. Sie wurden also nicht verschwendet. Das muss man den Leuten klarmachen.

Wie kann mehr Transparenz in dem System geschaffen werden?

Hess: Es gibt eine Task Force, die direkt nach dem Bekanntwerden der Manipulationen eingesetzt wurde. Experten der Bundesärztekammer prüfen die Transplantationszentren. Künftig soll es zudem ein Transplantationsregister geben. So wird transparent, mit welcher Qualität in Deutschland Organe entnommen und transplantiert werden. Ich glaube, dass damit eine neue Vertrauensbasis geschaffen wird.

Wer sollte die Konsequenzen für die Manipulationen tragen? Sollte man Ärzte suspendieren oder Transplantationen an einzelnen Stationen verbieten?

Hess: Zunächst geht es darum, dass jemand, der eine Warteliste manipuliert, in jedem Fall illegal handelt. Dafür muss er die Verantwortung tragen. Es gibt jetzt auch einen neuen Straftatbestand. Ich glaube, dass der Bundestag da richtig entschieden hat. Wie sich das auf das Zentrum auswirkt, hängt von der Qualität der Transplantationschirurgie dort ab. Bevor man ein Zentrum schließt, muss man triftige Gründe dafür finden, wie etwa fehlende Qualität.

Es gibt andere Modelle aus EU-Ländern, die bessere Statistiken aufweisen. In Spanien setzen Ärzte zum Beispiel mehr Organe ein. Kann das auch ein Vorbild für Deutschland sein?

Hess: In Spanien sind die Vorgänge Spenden und Empfangen eng aneinander gekoppelt. Die Krankenhäuser kooperieren auch miteinander und legen regional ihre Wartelisten fest. In Deutschland gibt es eine zentrale Warteliste, nach der die vorhandenen Spenderorgane verteilt werden. Wenn Krankenhäuser in Spanien viele Organe spenden, bekommen sie auch viele. Das ist ein anderes Anreizsystem.

Wäre das spanische System auch ein Vorbild für Deutschland?

Hess: In Deutschland sind Entnahme und Einpflanzen von Organen unabhängig voneinander geregelt. Ob das spanische System auf Deutschland übertragbar wäre, ist zweifelhaft. Denn wir halten in Deutschland ganz streng an der Trennung von Organspender und -empfänger fest. Die Frage, wer ein Organ bekommt, darf zudem nicht abhängig sein von sozialem Status oder finanziellem Vermögen. Es gilt der Gleichheitsgrundsatz, der durch die Verteilung gewahrt werden soll.