Auf dem Weg nach Santiago: Der Jakobsweg im Norden
Harrislee (dpa) - Pilgern ist spätestens seit Hape Kerkelings Erfahrungsbericht „Ich bin dann mal weg“ zum Trend geworden. Norddeutschland ist nicht gerade als Pilgerparadies bekannt, doch auch hier kann man auf Jahrtausende alten Routen zu sich selbst finden.
Nein, es muss nicht gleich der Heilige Geist von oben kommen. „Himmlische Eingebungen“ sollte man sich auch nicht versprechen lassen, wenn man auf dem Jakobsweg pilgert, meint Fred Hasselbach. „Man sollte vorher gar keine Vorstellungen haben.“ Der 67 Jahre alte Fred Hasselbach vertritt in der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft die Region Norddeutschland. Die Gesellschaft fördert die Auszeichnung neuer Pilgerwege auf sogenannten Altstraßen, die schon früher Pilgerrouten waren, kümmert sich um Forschung und die Beratung von Pilgern.
Fred Hasselbach pilgert seit 1997, als er in den Ruhestand ging. „Das war ein neuer Lebensabschnitt, ich wollte reflektieren und überlegen, wie stellst du dir den Anschluss vor, was fehlt jetzt?“ Auch das Zusammenleben mit seiner Frau veränderte sich, 24 Stunden am Tag war er nun zuhause. „Man fängt wieder von vorne an, muss zusammenfinden.“ Auf einer gemeinsamen Pilgertour ist ihm und seiner Frau Ute das gelungen. Dabei leben die Eheleute aus der Nähe von Rendsburg in Schleswig-Holstein in einer Gegend, die damals keine Jakobswege bot. „Pilgern war im Norden ja gar kein Begriff mehr, das war etwas Katholisches, seit Martin Luther verboten.“
So wurden Hasselbachs als Vertreter der Jakobus-Gesellschaft zu Geburtshelfern des jütländischen Wegs der Jakobspilger, der Via Jutlandica, die auf schleswig-holsteinischem Gebiet von Harrislee an der dänischen Grenze bis nach Glückstadt an der Elbe führt. Sie orientierten sich vor allem am historischen Ochsenweg, teilweise weicht die Jutlandica etwas ab von den 4000 Jahre alten Routen der Heere, Könige und Pilger. Quer durch den Norden sind sie dafür gewandert, haben alle Markierungen selbst gesetzt. Unterstützung von den Gemeinden, durch die der Weg verläuft, gab es erst 2006, nachdem entsprechende Anträge über ein Jahr vor sich hin dümpelten.
„Aber dann kam Hape“, lachen die Hasselbachs. Der Entertainer Hape Kerkeling schrieb mit dem Buch „Ich bin dann mal weg“ über seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg einen Millionenbestseller. Fred Hasselbach nutzte den Erfolg für seine Sache: „Mit dem Buch unterm Arm bin ich rein in die Ämter und habe denen gesagt: Ihr liegt auch am Jakobsweg!“ Und dann ging alles ganz schnell, 2007 wurde die Freigabe der Jutlandica im Schleswiger Dom feierlich begangen. Die Zahl der Pilger in Norddeutschland sei schwer zu schätzen, inzwischen sei es aber wohl insgesamt eine fünfstellige Zahl, auf der Jutlandica eine vierstellige, erzählt Fred Hasselbach.
Start ist für viele der kleine Grenzübergang am sogenannten Krummen Weg in Harrislee, auf dem sich die dänische Pilgerroute und die Jutlandica treffen. Das alte Pflaster ist rekonstruiert worden, der Schlagbaum ist immer oben. Weiter geht es über Idstedt, Schleswig, Rendsburg und Itzehoe. Eine Herberge finden Pilger außer im Hotel in Privatzimmern, bei Pfadfindern oder kirchlichen Einrichtungen.
Auf dem Gelände des St. Johannis-Klosters in Schleswig steht ein Zimmer für Pilger zu Verfügung, Frühstück gibt es auch dazu, erzählt Dieter Andresen vom Nordelbischen Bibelzentrum. Seit ungefähr zwei Jahren können Pilger ins Zentrum kommen, zwei bis drei sind es im Monat, häufig Frauen zwischen 30 und 50 Jahren. Neulich waren zwei Abiturientinnen da, erzählt Andresen. Den allgemeinen Trend zum Pilgern bemerkt auch er „auf jeden Fall“. Häufig starten die Pilger in Schleswig oder Flensburg ihre Tour, wandern dann weiter Richtung Eckernförde, seltener auch bis ans eigentliche Ziel: Santiago de Compostela in Spanien, wo der Apostel Jakobus begraben ist. „Gelegentlich kommt dann mal eine Postkarte.“
Der typische Jakobuspilger ist ein Einzelpilger, erzählt Hasselbach, er genießt die Freiheit. Dennoch, unter Pilgern „erzählt man sich manchmal Dinge, die die eigene Frau nicht weiß“. Generell gehe es um die großen Fragen, wo komme ich her, wo gehe ich hin. „Manche sind gerade erkrankt, andere gesund geworden, oder jemand hat den Partner verloren.“ Die „kleinen Wunder am Weg“ seien wertvoll, ergänzt Ute Hasselbach. Eine offene Kirche, ein Glas Wasser. „Man reduziert sich, trägt das Leben im Rucksack“, sagt ihr Mann. Die Nähe untereinander kann Partnerschaften kitten, aber auch beenden. Dass aber der Weg das Ziel ist, sei „Blödsinn“, findet Fred Hasselbach. „Man muss ein Ziel haben.“ Von Harrislee sind es 3250 Kilometer nach Santiago de Compostela.