Der Kreuzfahrtboom im Zahlenspiegel
Berlin (dpa/tmn) - Er ist 48,4 Jahre alt, hat die Koffer für 9,3 Tage gepackt und 1696 Euro an sein Reisebüro überwiesen. Alles im Durchschnitt natürlich. So sieht er aus: der typische deutsche Gast auf einem Hochseeschiff.
Ob es tatsächlich einen Passagier mit genau diesen Kennzahlen gibt, weiß niemand, aber so funktioniert Statistik nun mal. Auf jeden Fall gibt es immer mehr Deutsche, die zu diesen Durchschnittswerten beitragen: Der Boom bei Kreuzfahrten hat sich 2010 nicht nur fortgesetzt, sondern sogar noch beschleunigt: Mehr als 1,219 Millionen Hochseegäste bedeuteten ein Plus von 18,9 Prozent - und das sorgte für gute Laune, als auf der Reisemesse ITB in Berlin (9. bis 13. März) die Kreuzfahrtenstudie 2010 vorgestellt wurde.
Freuen dürfen sich aber nicht nur die Anbieter, sondern auch viele Reisende. Denn bei den Reisepreisen zeigte die Tendenz deutlich nach unten. Die im Schnitt 1696 Euro pro Gast für den Urlaub auf hoher See sind immerhin 185 Euro weniger als noch 2009. Und im langfristigen Vergleich wird der Rückgang noch deutlicher: Vor etwa zehn Jahren lag der Wert permanent mal knapp über, mal knapp unter der Marke von 2000 Euro. Auch die Tagesrate - also der Preis pro Urlaubstag und Person - war 2010 mit 183 Euro so niedrig wie noch nie in diesem Jahrtausend.
Dass Kreuzfahrten nun grundsätzlich immer preiswerter werden, kann Sebastian Ahrens jedoch nicht bestätigen. Der Chef von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten und Mitglied im Schifffahrtsausschuss des Deutschen Reiseverbandes (DRV) sieht andere Gründe für das Minus beim Preis: Wirtschaftliche Schwierigkeiten einzelner Anbieter hätten zum Teil zu Preisaktionen geführt, sagte Ahrens auf der ITB und spielte damit unter anderem auf das Insolvenzverfahren bei der Delphin-Gruppe an. Richard J. Vogel, der Chef von Tui Cruises, wies darauf hin, dass im Kreuzfahrtpreis oft die An- und Abreisekosten enthalten sind. Und diese seien verschieden hoch, wenn die Passagiere des einen Schiffes erst ans Mittelmeer geflogen werden müssen, während andere mit dem eigenen Auto an die Ostseeküste fahren, um dort an Bord zu gehen.
Sankt Petersburg, Stockholm, Kopenhagen und Norwegens Fjorde sind laut der DRV-Studie für immerhin gut jeden vierten Hochseepassagier die Ziele: Sogenannte Nordlandreisen zogen 16 Prozent der Gäste an, bei der Ostsee waren es 9,5 Prozent. Mit Abstand wichtigste Region ist aber das Mittelmeer, auf dem gut jeder dritte Bord-Urlauber kreuzt. Nur etwa jede vierte Kreuzfahrt führt in Häfen in Übersee.
Mit seinem Alter von 48,4 Jahren hat der Durchschnittsgast etwas geschafft, was sich viele Menschen wünschen würden: Er ist binnen zwölf Monaten nicht ein Jahr älter, sondern genau eines jünger geworden. Dies führt der Reiseverband darauf zurück, dass nicht zuletzt mehr Familien mit Kindern eine Seereise gebucht haben: Der Anteil der Unter-14-Jährigen sowie die Altersgruppen von 26 bis 55 Jahren sind gewachsen, während bei den Älteren der Statistikpfeil nach unten zeigt: 66 Jahre und älter sind jetzt noch 17,6 Prozent der Hochseereisenden, das waren 1,7 Prozentpunkte weniger als 2009.
Das sieht bei den Flusskreuzfahrten völlig anders aus: Etwa vier von zehn Gästen (39,7 Prozent) sind dort im Rentenalter „66plus“ - im Vergleich zu 2009 ein Anstieg um 2 Prozentpunkte. Dies führt auch dazu, dass der Durchschnitts-Flussgast innerhalb von zwölf Monaten um 1,6 Jahre gealtert ist und jetzt mit 59,4 Jahren schon auf das Ende seines Berufslebens blickt. Mit 1090 Euro hat er zugleich 20 Euro mehr auf den Tisch gelegt als im Jahr 2009, obwohl sich seine Zeit auf dem Wasser von durchschnittlich 7,8 auf 7,3 Tage verkürzt hat.
Dies könnte daran gelegen haben, dass heimische Gewässer besonders gefragt sind, zu denen die Anreise nicht so lange dauert. Die Donau liegt unangefochten auf Platz eins bei den Flusszielen, und erstmals habe es auch mehr deutsche Flusskreuzfahrer auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen als auf dem Nil in Ägypten gegeben, erklärte Guido Laukamp, Geschäftsführer von Viking Flusskreuzfahrten, auf der ITB. „Und das, obwohl Ägypten 2010 die beste Saison aller Zeiten hatte.“
Wie gut die Nil-Saison 2011 wird, lässt sich den Experten zufolge schwer einschätzen. Nach den Unruhen in Ägypten haben noch nicht alle Flussreedereien die Nil-Programme wieder aufgenommen: „Das Verhalten der Anbieter ist sehr uneinheitlich im Moment“, sagte Laukamp, der Vizevorsitzender des DRV-Schifffahrtausschusses ist. In Ägypten habe es aber schon immer Schwankungen bei den Gästezahlen gegeben, die Branche kenne das. „Wenn man da hin will, dann sollte man eigentlich jetzt fahren“, sagte Laukamp mit Blick auf die günstigen Reisepreise.
Wenn der durchschnittliche Kreuzfahrtpassagier einen ägyptischen Stempel in seinen Pass bekommt, dann könnte es im Moment jedoch eher ein 59,4 Jahre alter Fluss- als ein elf Jahre jüngerer Hochseegast sein. Pünktlich zur ITB gab die italienische Reederei Costa bekannt, dass sie alle Häfen in Tunesien und Israel, aber auch in Ägypten aus ihrem Routenplan streicht - und zwar bis Ende November. Welche Auswirkungen dies auf den statistisch errechneten Bordurlauber hat, wird erst die nächste Kreuzfahrtenstudie zeigen - auf der ITB 2012.