Meditative Mondlandschaften Der Weg ist das Ziel: Ein Fahrradtrip durchs südliche Afrika
Hobas (dpa/tmn) - Die Zahlen, die Pieter Van Wyk vor der Kulisse des Fish River Canyons herunterbetet, sind unvorstellbar. Vor zwei Milliarden Jahren haben Vulkanausbrüche die Berge geschaffen, die hier im Südwesten Namibias noch immer am Horizont thronen.
Der Biologe, 28, spricht von 2000 Millionen Jahren, so als wäre diese ungeheure Zeit damit greifbarer - was natürlich nicht stimmt. Erosion ließ im Laufe der Zeit die bis zu 550 Meter tiefen Canyons entstehen. Schon morgens brennt die Sonne unerbittlich über der kargen Steinwüste, nur vereinzelt sträuben sich Büsche mit kleinsten, knochenharten Blättern gegen das Vertrocknen. Die Landschaft gehört zu einem Nationalpark mit dem etwas sperrigen Namen „/Ai/Ais-Richtersveld Transfrontier Park“.
Die Einzigartigkeit der Region erschließt sich auf einer kurzen Stippvisite per Auto oder Reisebus kaum. Deshalb gibt es eine entschleunigte Variante: Desert Knights, eine Fahrradtour von Namibias Süden über den Grenzfluss Oranje in den südafrikanischen Norden. Zweimal jährlich, wenn die Temperaturen im April und September einigermaßen erträglich sind, durchqueren bis zu 100 moderne Abenteurer die fast unheimliche Stille der Wüste. Ohne Stoppuhr, jeder in seinem Tempo.
„Die Absicht war, die touristischen Höhepunkte des Transfrontier Parks in eine Tour zu packen“, erklärt deren Erfinder Roland Vorwerk, Marketing-Manager bei der Agentur Boundless Southern Africa. Doch es sind längst nicht nur die hervorstechenden Landmarken, der Blick in den Canyon oder das Bad in den heißen Thermalquellen von „/Ai/Ais“, die diese Tour ausmachen. Auf den 300 Kilometern, 20 davon per Kayak auf dem Oranje, ist vielmehr der Weg das Ziel.
Nach einem Warmfahren am ersten Tag führt die Etappe am nächsten Abend von Hobas nahe des Canyons nach „/Ai/Ais“. „Heiß wie Feuer“ bedeutet der Name in der Sprache der Nama, der das 65 Grad warme Quellwasser meint.
Kaum kühler fühlt es sich in den späten Nachmittagsstunden jedoch auf der Schotterstraße an, die sich von Hobas aus gen Süden durch die welligen Weiten zieht. Ein erbarmungsloser, staubtrockener Gegenwind lässt selbst dann den Schweiß laufen, wenn es einmal leicht bergab geht. Im Westen fallen Sonnenstrahlen durch die Wolken. So lila-rot sind die Farben, dass das Panorama fast schon kitschig wirkt.
Sonst ist Ruhe, 68 lange Kilometer. Unterbrochen wird sie nur von drei Verpflegungsstationen, an denen die Radler Wasser und Energie tanken, letztere in Form von Datteln, Keksen und Biltong, dem in Namibia und Südafrika allgegenwärtigen Trockenfleisch.
Bei der Durchquerung der verlassenen Farm Kanabeam treibt tiefer Sand in der einzigen Jeep-Spur die Radfahrer zur Verzweiflung. Ein US-amerikanisches Paar hatte die Farm einst in dem Glauben gekauft, dort Zink fördern zu können. Doch die ersten Funde waren fingiert. Von den enttäuschten Hoffnungen auf einen Zink-Boom zeugen heute nur noch die rostigen Minengerätschaften, die aus der sandigen Ebene ragen - und die weitgehend intakte Wüstenvegetation.
So schiebt sich der runde Mond in fast gespenstischer Stille über die steilen Felswände der Gamkab-Schlucht, die nur zweimal jährlich zu den Fahrradtouren von Menschen betreten wird.
Bedroht sind die Ökosysteme des Parks dennoch. Am Grund des Oranje, dem einzigen ganzjährig Wasser führenden Fluss der Region, wimmelt es inzwischen vor exotischen Schnecken, deren Vorfahren vermutlich von Aquariumbesitzern stromaufwärts „entsorgt“ worden sind. Der dünne grüne Uferstreifen leidet zudem unter der Überweidung durch die Ziegenherden der örtlichen Bevölkerung.
Die für ganz Afrika so charakteristischen Hirtenbäume können im Park locker 1500 Jahre alt werden. Hier trifft man auch Pieter Van Wyk, der sonst in der Gärtnerei des Parks arbeitet, auf einer seiner morgendlichen Botanikwanderungen. Von den einst 2000 Kilometern Auenwald ist aber nur noch ein Zehntel erhalten.
Auch weiter weg vom Ufer sieht es nicht besser aus. Infolge der seit vier Jahren anhaltenden Dürre sind 40 Prozent der Pflanzen im Park abgestorben. Insbesondere bei den Köcherbäumen ist ein wahres Massensterben zu beobachten. Woran genau das liegt, kann auch Van Wyk nicht erklären, denn längere Trockenperioden sind in der Gegend eigentlich normal. „Es muss mit dem Klimawandel zu tun haben.“
Nach einer langen Vollmondfahrt über enge, steinige Pfade wartet schließlich das Ziel der sechstägigen Radtour am Grenzübergang Sendelingsdrift mit einem Glühwein. Wer hier ankommt und dann noch auf die Suche nach den 22 Gecko-Arten des Parks geht, der hat nicht einfach nur Urlaub gemacht. „Es ist die Möglichkeit, in einer der großartigsten Landschaften der Welt zu meditieren“, sagt Raymond Siebrits, ein Teilnehmer aus Kapstadt.