Die Westpassage: Mit dem Rocky Mountaineer durch Kanadas Berge

Vancouver (dpa/tmn) - Die Eisenbahn ist in Kanada viel mehr als ein Transportmittel. Der schönste Abschnitt der transkontinentalen Strecke liegt zwischen Vancouver und dem Banff Nationalpark. Die luxuriöseste Art, sie zu bereisen, ist eine Fahrt mit dem Rocky Mountaineer.

„Ein Bär, ein Bär!“ Die Silberschöpfe im Speisewagen lassen ihr Besteck fallen und sind aufgeregt wie Kinder. Hektisch greifen sie nach ihren Kameras, aber es ist zu spät. Der Schwarzbär neben den Schienen ist schon verschwunden. Die Aussicht auf dichten Nadelwald, einen See und darüber schneebedeckte Gipfel aber bleibt grandios, wie fast die gesamten zwei Tage, in denen der Rocky Mountaineer von Vancouver nach Banff rollt.

Die Fahrt in den Waggons mit Glasdach gehört zu den luxuriösesten Zugreisen der Welt. Doch was für die Touristen heute eine hübsche Spazierfahrt ist, war für die Ingenieure vor rund 130 Jahren ein Alptraum. Sie mussten eine Bahnstrecke durch die engen Täler der Rocky Mountains treiben, um den Osten und den Westen des riesigen Kanadas zu verbinden — und das in zehn Jahren.

Das Vorhaben gelang. Am 7. November 1885 hämmerte Donald Smith, ein Großaktionär der Canadian Pacific Railway, den letzten Nagel in die Erde. „Einen eisernen“, präzisiert Zugbegleiterin Michelle Boyer, als das Denkmal in Craigellachie gerade vor dem Fenster vorbeizieht. Für einen Goldnagel sei der Schotte Smith zu geizig gewesen.

Michelle und ihre Kollegen haben während der zweitägigen Fahrt viele Anekdoten zu erzählen. Von dem Farmer, der im Sommer immer nackt arbeitete und auf die vorbeifahrenden Züge schoss, weil ihr Signalhorn seine Kühe krank machte.

Dem Fraser Valley folgt die Bahnlinie den Großteil des ersten Tages, nachdem sie die grünen Vororte von Vancouver hinter sich gelassen hat. Einst errichtete die Hudson Bay Company Handelsposten entlang des Fraser Rivers, um so die Pelze von Bibern und Bären zu exportieren.

Lunchtime. Im Speisewagen bekommt Fred Witte, 75, Rinderrippchen mit Kartoffelbrei und Weißwein serviert. Der Renter ist vor 54 Jahren aus Deutschland ausgewandert und lebt jetzt in Australien. In seiner neuen Heimat hat er bereits einige Zugreisen gemacht, mit dem Indian Pacific und dem Ghan. „Aber die waren nicht so luxuriös wie dieser Zug“, sagt er. Witte hat den Rocky Mountaineer im Paket mit einer Kreuzfahrt nach Alaska gebucht, so wie viele Reisende in der „Gold Leaf“-Klasse — so viele, dass das Unternehmen in diesem Jahr eine neue Route bis Seattle gestartet hat, wo die Kreuzfahrtschiffe ablegen.

Die beliebteste Route bleibt aber das Original von 1990, „First Passage to the West“. Und ihr erster Höhepunkt ist das Tor zur Hölle. „Hell's Gate“ nannte Simon Fraser, der Erforscher des Tals, im Jahr 1808 den engen Canyon mit seinen mächtigen Stromschnellen. Andrew Onderdonk, der Chef beim Bau der Eisenbahn, wollte trotzdem Baumaterial auf einem Dampfschiff durch die Schlucht bringen lassen. Nachdem zwei Kapitäne aufgegeben hatten, ließ der dritte das Schiff von 150 chinesischen Arbeitern an Stahlseilen durch die Stromschnellen ziehen.

Heute spannt sich eine rote Brücke über die 34 Meter enge Schlucht, Gondeln bringen Reisende vom Trans Canada Highway zu einem Aussichtspunkt herab. Auch auf der Fotoplattform zwischen den Waggons wird eifrig geknipst, wie jedes Mal, wenn die Zugbegleiter einen Fotopunkt ankündigen.

In Kamloops endet die erste Tagesetappe. Touristen hat das Städtchen wenig zu bieten außer ein paar Pubs mit abenteuerlichen, vor Ort gebrauten Bierkreationen. Aber am nächsten Tag geht es ohnehin um 6.15 Uhr weiter.

Regen perlt über die Panoramafenster, Nebel hängt zwischen den Tannen, Douglasien und Birken. Der Zug rollt um den Shuswap Lake bis zur Mündung des Adam Rivers. Die seichten Kiesbetten sind jeden Spätsommer das Ziel von Millionen Lachsen, die Fraser und Thompson River hochschwimmen, um hier zu laichen.

Je höher der Zug klettert, desto mehr kommt das Glasdach zu seinem Recht. Frischer Schnee liegt auf den Bergen, die ringsum in den Himmel ragen. Kurz vor der Wasserscheide Nordamerikas wird das Gelände am Big Hill so steil, dass in den ersten Jahren nach dem Bau der Strecke viele Züge abwärts entgleisten. 1907 fanden Ingenieure in der Schweiz die Lösung. Nach dem Vorbild der Biaschina-Schlucht sprengten sie zwei Spiraltunnel in Mount Ogden und Cathedral Mountain. Die Züge fahren nun auf zwei großen Schleifen durch die Berge. „Wenn ein Zug 80 Waggons hat, kann man im ersten den letzten unter sich in den Tunnel fahren sehen“, erklärt Michelle.

Die Reise geht ihrem Ende entgegen. Ein paar Passagiere steigen bereits in Lake Louise aus, die meisten aber bleiben bis Banff sitzen. So wie die Reisenden in der ersten Klasse vor mehr als 100 Jahren, die wegen des heilenden Wassers kamen.