Entschleunigung zu Fuß von Berlin nach Bad Wilsnack

Bad Wilsnack/Tangermünde (dpa) - Drei Blut-Hostien zogen einst Hunderttausende an. Luther waren sie ein Dorn im Auge. Wunder und die Hostien gibt es nicht mehr. Trotzdem kommen wieder Pilger.

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Die andere Art des Wanderns: Über 1000 Menschen zieht es im Jahr zu Fuß von Berlin nach Bad Wilsnack in die brandenburgische Prignitz an der Grenze zu Sachsen-Anhalt. „Der Pilgertourismus läuft langsam wieder an“, sagt Katharina Zimmermann, Projektmanagerin beim Tourismusverband Prignitz. 130 Kilometer sind zu bewältigen, meist in etwa einer Woche. Bürgermeister Hans-Dieter Spielmann (parteilos) erwartet von der Belebung des Pilgerweges größere Bekanntheit der Stadt. „Wir wollen unsere jahrhundertealte Tradition zeigen“, sagt er. Seit zehn Jahren werden Wanderer wieder auf den Weg gelockt.

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Im Mittelalter gehörte der Ort zu den berühmtesten Wallfahrtszielen Europas, war genauso bekannt wie der Jakobsweg nach Santiago de Compostela. 1383 waren nach einem Kirchenbrand drei Hostien mit Blutstropfen entdeckt worden. Sie hatten das Feuer unbeschadet überstanden. Das Wunder wollten dann viele sehen. Die Hostien gibt es nicht mehr, nur noch den kostbaren Holzschrein in dem die Reliquien einst aufbewahrt wurden.

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„Wir wollen wieder an die Geschichte anknüpfen“, sagt Jochen Purps, Vorsitzender des Fördervereins Wunderblutkirche. Heute werde den Pilgern aber nicht wie einst für 100 Tage die Befreiung von allen Sünden im Ablasshandel geboten.

„Als Lohn winkt eine besondere spirituelle Erfahrung“, sagt Purps. Es gehe aber nicht in erster Linie um den christlichen Glauben, stellt er klar. „Viele wollen sich nur entschleunigen.“ Man könne einiges über sich erfahren und frei werden für andere Begegnungen.

Im Mittelalter lebte die ganze Stadt von Pilgerströmen, die zur imposanten Wunderblutkirche zogen. 30 Restaurants und Herbergen standen für zahlungskräftige Kunden aus ganz Europa bereit. Mit der Reformation war damit Schluss.

„Eine wichtige Einnahmequelle für die Stadt versiegte damals“, sagt Zimmermann. Heute es gehe um den Genuss des Sich-Selbst-Findens in der wunderschönen Prignitzlandschaft. Mit Besucherzahlen wie einst zu den Hochzeiten werde aber nicht gerechnet.

Unterwegs können die Pilger eine offene Landschaft mit Seen und alten, meist ursprünglichen Dörfern genießen. Christian Richter, Apotheker und Mitglied im Förderverein, zeichnet regelmäßig mit orangenem Farbspray die Wege aus. „Niemand soll sich verlaufen“, sagt er.

Der Förderverein organisiert Übernachtungsplätze entlang der Strecke. Vom Start in Hennigsdorf im Norden Berlins über Bötzow, Fehrbellin, Kyritz bis nach Bad Wilsnack können müde Wanderer an 25 Stationen die Nacht verbringen.

„Für 15 und 50 Euro ist das für Pilger möglich“, sagt Zimmermann. Das könne ein Zimmer in einer Pension, ein Bett im Gemeindehaus oder ein Platz im Heuquartier sein.

„Pilger von heute sind gut zu erkennen“, sagt Purps. Sie tragen einen Rucksack, bequeme Kleidung, laufen oft in Gruppen und singen häufig. Die Blasen an den Fußen seien hingegen nicht zu sehen.

Der Pfarrer der Wunderblutkirche, Daniel Feldmann, kann in seinem Gemeindehaus zwar eine spartanische, aber doch besondere Unterkunft bieten. „Von hier fällt man aus dem Bett fast in die Kirche“, sagt er. Der Pfarrer freut sich, wenn Gäste dann auch den Weg in den Gottesdienst finden. „Pflicht ist das nicht“, betont er.

Die erfolgreiche Tour bezeugt am Ende ein Stempel im Pilgerausweis. Das in der Kirche ausgelegte Pilgerbuch verzeichnet ganz persönliche, mit dem Weg verbundene Hoffnungen und Wünsche. Manchmal auch ein Gebet oder ein Dank. „Ich weiß gar nicht warum, aber ich denke immerzu an Gott“, schrieb eine Zehnjährige. „Ich wünsche mir Frieden“, notierte ein anderer Pilger. Eine Frau erinnert an die schwere Erkrankung ihres Mannes.

„Der Weg von Berlin nach Bad Wilsnack ist für viele ein Test für eine Pilgerwanderung nach Spanien“, sagt Purps. Die etwa 85 Kilometer nach Tangermünde in Sachsen-Anhalt sind schnell erreicht. Von dort geht es dann über die zwölf Hauptrouten des Jakobsweges bis nach Santiago de Compostela in Spanien. Rund 14 000 Deutsche kamen dort im Vorjahr zu Fuß oder mit dem Rad an.