Erst der Schock, dann das Glück - Eisbaden in Nordschweden
Skellefteå (dpa/tmn) - Brrr! Die Zähne klappern schon an Land. Wie soll es dann erst im ein Grad kalten Wasser sein? Freiwillig probieren das wohl die wenigsten aus. Nur Eisschwimmer - und solche, die es bei einem Kurs in Nordschweden werden wollen.
Als erstes kommt der Schock. Es ist zu kalt, meldet der Körper dem Gehirn und schüttet Noradrenalin aus. Das löst eigentlich einen Fluchtreflex aus. Aber fliehen will hier keiner, alle steigen freiwillig in das dunkle Loch im Eis: Ein Kurs im Winterschwimmen setzt voraus, sich zu überwinden - auch gegen die Reaktion des eigenen Körpers.
Jarkko Enqvist steht auf einem zugefrorenen Fluss in Skellefteå in Nordschweden, das Thermometer zeigt knapp unter null Grad. Ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Jarkko kommt aus Finnland, so wie das Winterschwimmen auch, sagt er. Dort tauchen jeden Winter Tausende Menschen ins eiskalte Wasser. In Schweden ist der Kreis der Eisschwimmer bislang klein, Jarkko will das ändern.
Zusammen mit einigen Bekannten hat er die Dark and Cold Association gegründet - einen Verein, der seit drei Jahren Meisterschaften im Winterschwimmen ausrichtet. Skellefteå in der Provinz Västerbotten sei bisher der einzige Ort in Schweden, der so etwas anbietet. Und damit sich vielleicht bald noch mehr Menschen für die Meisterschaften anmelden, gibt es vom Verein nun auch Kurse im Winterschwimmen.
Als zweites kommt das Verkrampfen. Es fühlt sich an, als wären alle Muskeln im Körper angespannt. Das Herz pumpt, die Atmung rast. Fast schon ein Hecheln. Jetzt kontrollierter atmen, hatte Jarkko gesagt. Langsam ein, langsam aus, langsam ein, langsam aus. Ein, aus.
Jarkko zieht eine Plane mit eingewickelten Holzstücken vom Eisloch. So bleibt es den Winter über offen. Denn es ist gar nicht so leicht, ein passend großes Rechteck aus dem Eis zu heben. Die Abdeckung ist beseite geschoben und gibt den Blick frei auf ein dunkles Loch inmitten des weiten Weißes. Dünne Eisschollen schwimmen auf der Wasseroberfläche. Jarkkos Frau Tiina schöpft sie mit einer großen schwarzen Kelle ab.
Als drittes kommt die Entspannung. Die vielleicht eher daher rührt, dass der Körper taub wird. Die Füße ertasten den sandigen Untergrund wie durch ein Polster, über die Haut legt sich eine Art eisige Decke. Jetzt geht auch das Atmen wieder in ruhigeren Zügen.
Tiina will schon einmal ins Loch, den Neulingen zeigen, wie es geht. Dick eingepackt in Mantel, Mütze und Stiefeln macht sie einige Hampelmänner auf dem Steg, joggt ein bisschen hin und her, kurbelt ihren Kreislauf an. Währenddessen kommen weitere Mitglieder des Vereins an.
Als viertes kommen die Nadeln. Überall piksen sie, von den Beinen hoch bis in die Schultern, die Arme. Die Füße sind zu taub für Nadeln - das macht es etwas schwierig, die Leiter wieder nach oben zu klettern.
Olaf Schneider ist Deutscher, wohnt seit drei Jahren im Norden Schwedens. Die Kälte und der Schnee haben ihn hierhergezogen. „Ich war noch kein Jahr hier, da hat ein Freund gesagt: "Komm' wir fahren nach Finnland zum Winterschwimmen!"“ So lernte er auch Jarkko kennen. Und die Idee entstand, das Winterschwimmen nach Schweden zu bringen. Für die Zukunft erhofft sich Olaf noch mehr als die Winterbadekurse und den jährlichen Wettbewerb. „Wir hätten die Weltmeisterschaften gerne auch hier, dafür müssen wir mit unserem Verein aber noch mehr machen.“
Als letztes kommt das Glück. Nach dem Bad nicht lange draußen herumstehen, hatte Jarkko gesagt: Im Hochgefühl spüre man die Kälte nicht mehr, dann werde es gefährlich. Also erst einmal zurück in den Bademantel, er schmiegt sich flauschig an die kalte Haut. Aus der kleinen Holzsauna am Ufer qualmt es schon verheißungsvoll. Mit steifen Füßen watscheln die Eisschwimmer hinüber. Vor dem Ofen entspannen sich die Muskeln, die Nadeln verschwinden, Wärme strömt durch den Körper. Glücksgefühle.
Dann erschallt Jarkkos Stimme draußen vom Fluss: „Möchte jemand noch einmal, bevor ich das Loch wieder zumache?“ Anna, eine der Neulinge, überlegt nur ein paar Sekunden. Dann schreit sie zurück: „Ja!“ Tiina hatte recht. Es macht süchtig.