Himalaya light: Wandern durchs Annapurna-Massiv
Kathmandu (dpa/tmn) - Eine Wanderung durch das Annapurna-Massiv ist Himalaya light. Auf dem „Applepie Trek“ gibt es in regelmäßigen Abständen Lodges - und Apfelkuchen. Doch wer den Aufstieg auf den rund 5500 Meter hohen Pass Thorong La unterschätzt, kann mit dem Leben bezahlen.
Ein bisschen nervös ziehen wir in der Dämmerung die Schulterriemen unserer Rucksäcke fester. Ingwertee wärmt die in der Morgenluft klamm gewordenen Finger. Weniger als 200 Kilometer trennen uns vom lauten Kathmandu, der Hauptstadt Nepals. Von dort sind wir am Vortag mit dem Jeep durch Festivalstaus nach Bhulbule gelangt. Ein letztes Mal Motorenlärm. Zehn Tage Stille liegen vor uns. „More walk, less talk“ hatte uns der Mann an der Hotelrezeption hinterhergerufen. Er sollte Recht behalten.
Noch ist die Stille ein einziges Dröhnen. Flankiert von donnernden Wasserfällen beginnen wir unseren Marsch, umgeben vom satten Grün der Reisterrassen. Hupendra, der uns als Guide über die 162 Kilometer lange Strecke begleiten wird, gibt den Takt vor. Ein Tempo, bei dem ein normaler Spaziergang durch die Fußgängerzone wie ein Sprint erscheint. Doch wir vertrauen dem Mann aus der Everest-Region. „Ihr werdet sehen: Wir holen alle Raser wieder ein“, sagt er. „Spätestens am Pass.“ Die Hitze lässt binnen weniger Stunden ohnehin jeglichen sportlichen Ehrgeiz verdampfen.
Die saftige subtropische Landschaft weicht am Ufer des Marsyandi-Flusses langsam dichten Eichenwäldern. Einatmen. Ausatmen. Loslassen. In den kommenden Tagen verinnerlichen wir den Rhythmus der Berge. Im Gänsemarsch schweigen wir uns durch die Landschaft, die mit zunehmender Höhe alpiner wird. Immer ist ein bis zu 8000 Meter hoher Schneeriese in Sicht.
„Ukkalo-orralo, yo Nepal ho - Hoch und runter, das ist Nepal!“: Bergauf und bergab wandern wir durch Farndschungel und knorrige Zauberwälder. Apfelbäume gehen über in Fichten- und Föhrenwälder. Graue Felsplatten und braunverbrannte Flure verdrängen das tiefe Grün von wildem Hanf, Reisfeldern und Bambushainen. Verspielte Affenbanden weichen scheuem Wild, meckernden Ziegenherden und behäbigen Yaks.
Je weiter wir Richtung Norden gelangen, desto mehr durchdringt der Buddhismus die Landschaft des mehrheitlich hinduistischen Nepals. Gebetsfahnen flattern im Wind und tragen weiß, rot, grün, gelb und blau segensreiche Worte in den Himmel. Gebetsmühlen flankieren die kleinen Siedlungen mit den flach gedeckten Steinhäusern. Das allgegenwärtige Mantra „Om mani padme hum“ begleitet uns.
Langsam werden die Berge auch körperlich spürbar. Je höher es geht, desto öfter ermahnt uns Hupendra zur Vorsicht. Knoblauchsuppe und literweise Ingwertee sollen uns vor der Höhenkrankheit schützen, die besonnene Trekker umkehren lässt - und jedes Jahr weniger besonnene tötet.
In Manang legen wir auf 3500 Metern Höhe einen Tag Akklimatisierungspause ein. Internationale Ärzteteams der „Himalayan Rescue Association“ klären hier während der Hochsaison täglich Bergsteiger über Symptome und Folgen der Höhenkrankheit auf. „Ich habe selten auf einer Reise buchstäblich so viele Höhen und Tiefen erlebt“, sagt die kopfschmerz- und grippegeplagte Antje aus Dresden, die wir in einer der vielen Bäckereien treffen.
Überhaupt ist der sogenannte Applepie Trek bestens auf die Bedürfnisse westlicher Wanderer eingestellt. In regelmäßigen Abständen warten einfache Lodges, ein Zelt ist überflüssig. Ausgestattet mit einem Vorrat an Hefegebäck, Schokoriegeln und dem Segen des ortsansässigen Lamas geht es steil dem Pass entgegen. Im Basislager auf 4450 Metern ist es inzwischen bitterkalt. Die Wanderer legen sich Zusatzdecken über die dicken Schlafsäcke, Trinksäcke werden als Wärmflaschen genutzt.
In der Dämmerung brechen wir auf zum fast 5500 Meter hohen Thorong La. 1000 Höhenmeter nach oben und 1750 Meter nach unten gilt es in einer Etappe von zwölf Stunden zu überwinden. Neuschnee macht den Weg rutschig und die Laune erstmals frostig.
In den dreieinhalb Stunden steilen Aufstiegs wird alles in den vergangenen Tagen Erlernte auf eine eisige Probe gestellt. Als wir vor wehenden Gebetsfahnen für Erinnerungsfotos posieren, gefriert das Lächeln bei minus 20 Grad - doch die Schmerzen sind längst vergessen.
Nach zwölf Stunden erreichen wir erschöpft Muktinath. In einem der vier heiligsten Hindhutempel wärmen wir uns an der heiligen Erdgasquelle der Feuergöttin, waschen die geschundenen Glieder bei einem Lauf durch 108 bronzene Wasserspeier und verschlingen Unmengen Curry. Das Schlimmste ist geschafft. Die letzte Etappe nach Jomsom, ein Herbsttag, wie er goldener nicht sein könnte. Die erste Straße, Motorräder hupen, willkommen in der Zivilisation.
Bergauf, bergab. „Nepal ist nicht da, um verändert zu werden, sondern um Sie zu verändern“, gab der Everest-Erstbesteiger Sir Edmund Hillary vor vielen Jahren Nepalreisenden auf den Weg. Und so stört es uns auch nicht, dass der Flug über Pokhara nach Kathmandu irgendwann zwischen 8.00 und 11.00 Uhr angesetzt ist. Oder wegen der Witterung vielleicht auch ausfällt. Einatmen, ausatmen. Loslassen. „Yo Nepal ho.“