Memphis Im Königreich der Musik
Elvis Presley hat die Stadt weltberühmt gemacht. Doch es gibt noch mehr zu entdecken am Mississippi.
Memphis. Jerusalem mag die Welthauptstadt von drei Religionen sein, dafür ist Memphis die Wiege von drei Musikstilen. Blues und Soul wurden hier geprägt, vor allem aber der Rock ‘n’ Roll nahm in der Stadt in Tennessee seinen Anfang. Dabei hat man hier am Mississippi den größten Ruhm einem Mann zu verdanken, der gar nicht hier geboren wurde: Elvis Presley. Er prägt nach wie vor Memphis — und lockt jährlich Millionen Touristen an.
„Er war der King. Und er ist es noch“, sagt Brandon Cunning. „Stunning Cunning“ ist selbst Musiker und verehrt Presley, der im Alter von 13 Jahren mit seinen Eltern nach Memphis zog. „John Lennon hat mal gesagt, dass vor Elvis nichts gewesen sei. Und so war es auch. Er hat die Welt revolutioniert, und die Folgen spüren wir noch heute.“
Cunning spielt abends in der Beale Street. Die wurde vor kurzem zur belebtesten Straße der USA nach der Bourbon Street in New Orleans gewählt. Hier reiht sich ein Club an den anderen, und von irgendwo her kommt immer Livemusik, selbst mitten am Tag. B.B. King’s Blues Club ist einer der bekanntesten Läden dort und hat geholfen, Memphis wieder nach oben zu bringen.
„Nach dem Attentat auf Martin Luther King ging es uns verdammt dreckig“, sagt Clubmanager Thommy Peters. „Damals standen Panzer in der Beale Street, und der Mord hat unsere Stadt über Jahrzehnte gelähmt.“ Erst in den Neunzigern sei es wieder aufwärts gegangen. „In kaum einer anderen Stadt der USA leben heute Schwarze und Weiße so harmonisch zusammen“, sagt Peters. „Und ich meine wirklich zusammen, nicht nebeneinander. Das liegt an der Musik.“
Das Studio, in dem Elvis seine erste Aufnahme machte, gibt es noch. Im Sun Studio nahmen auch B. B. King, Ike Turner und Johnny Cash ihre frühen Platten auf. „Sam Phillips war eigentlich Radiomoderator. Aber die Musik war ihm zu langweilig und so eröffnete er sein eigenes Tonstudio“, erklärt Lhana Deering. Die Musikerin macht ihre Aufnahmen selbst in dem kleinen Studio — nachts. Tagsüber gehört es den Touristen. „Sam wollte einfach etwas anderes, er wollte die Musik der Schwarzen“, sagt Deering. „Als er von einer Gefängnisband hörte, nervte er die Anstaltsleitung so lange, bis er die schwarzen Musiker zu sich ins Studio holen durfte. „The Prisonaires“ kamen mit bewaffneten Wachen und standen dann in Ketten im Tonstudio.“ Ihr Lied „Just Walkin’ in the Rain“ wurde ein Hit. Wer will, kann sich mit dem Mikrofon fotografieren lassen, in das einst Elvis sang.
Das „Hotel Chisca“ ist heute längst kein Hotel mehr, und das Haus sieht baufällig aus, aber es ist eine der Wallfahrtsstätten. Von hier aus sendete Dewey Phillips eine Radiosendung, die aus einigen Musikern Stars machte. Als er im Juli 1954 „It’s alright“ von einem Lastwagenfahrer namens Elvis Aron Presley auflegte, bekam er mehr als 200 Anrufe und sogar ein paar Telegramme: 14 Mal spielte er den Song in der Nacht.
Elvis lebte damals noch in einem billigen Apartment, das es noch heute gibt. Wer will, kann da schlafen: für 250 Dollar die Nacht. „Ich habe es getan, weil ich ihm ganz nah sein wollte“, sagt Musiker Cunning. „Am tollsten fand ich, dass hunderte Frauen ihre Lippenabdrücke mit Lippenstift an der Wand hinterlassen haben.“
Mit dem Ruhm wollte Elvis in etwas Geräumigeres umziehen und so kaufte er Graceland. „Es hat 100 000 Dollar gekostet“, sagt Cunning. „Das klingt nicht viel, aber das durchschnittliche Jahreseinkommen lag bei 6000 Dollar.“ Außerdem steckte Elvis noch die gleiche Summe in den Umbau. Das Ergebnis ist ein maßgeschneidertes Haus, das viel über Elvis sagt — und über seinen speziellen Geschmack.
Seine Autos — diverse Mercedes, ein Ferrari und natürlich der berühmte rosa Cadillac, den er seiner Mutter schenkte — stehen in einem Extramuseum. Nur ein paar Meter weiter finden sich auch die beiden Flugzeuge, die er besaß. Die „Lisa Marie“ war eine Convair, in die normalerweise gut 100 Passagiere passten.
Graceland ist heute ein perfekt organisiertes Millionenunternehmen. Eine Art Disneyland für Rock ’n’ Roll-Fans. Gleich gegenüber dem Anwesen sind mehrere Restaurants und elf Souvenirläden, die alle das Andenken an Presley vermarkten. Alles dreht sich um einem Jungen, der ganz arm aufwuchs.
Armut war auch der Grund für einen Streik der vor allem schwarzen Arbeiter der Stadtreinigung von Memphis 1968. Unterstützung bekamen sie von einem Friedensnobelpreisträger: Martin Luther King. Am 4. April ging er abends auf den Balkon seines einfachen Motels und sprach mit Freunden. Plötzlich traf ihn ein Schuss. Eine Stunde später wurde das Symbol des gewaltlosen Kampfes für tot erklärt.
Das „Lorraine Motel“ ist heute das Museum der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und wurde gerade für 17 Millionen Dollar umgebaut. Es schildert den Kampf der Schwarzen von ihrer Versklavung vor 400 Jahren bis heute. Das meiste ist zwar hinter Glas, doch ansonsten ist es ein amerikanisches Museum: Bitte alles anfassen, ausprobieren und entdecken.
So kann man zum Beispiel in einem Bus Platz nehmen — gleich neben Rosa Parks, die sich 1955 geweigert hatte, ihren Sitz für einen weißen Fahrgast aufzugeben. Daneben scheint ein weiterer Bus, ein Wrack nur, durch geschickten Lichteinsatz zu brennen. Er erinnert an einen Überfall aus dem Jahr 1961, als Wahlhelfer von Rassisten angegriffen wurden. Über dem Bild des Polizeichefs von Birmingham in Alabama, Eugene „Bull“ Conor, steht sein Zitat: „Ich pfeife auf das Recht. Wir hier unten machen unser eigenes Recht.“ Seine Antwort auf Kings Gewaltlosigkeit waren Wasserwerfer, Hunde und Knüppel.
Manchmal sind die verstecktesten Exponate die interessantesten. So wie der „Negro Travel Guide“, ein spezieller Reiseführer für Schwarze aus den fünfziger Jahren: „Reisen ohne Demütigungen“. Oder ein Flugblatt, das davor warnt, schwarze und weiße Kinder den gleichen Kindergarten besuchen zu lassen: „Sie freunden sich an, sehen das als normal an, und später heiratet deine Tochter einen Farbigen. Und dann? Dann bekommst Du ein farbiges und ein weißes Enkelkind. Willst Du das?“
„So war die Zeit damals. Und es ist erst 50 Jahre her“, sagt James Thompson. Er hat vor 56 Jahren Geschichte geschrieben — dabei ist er selbst erst 65. „Wir hatten damals auf dem Spielplatz uns gegenseitig Küsschen zum Abschied gegeben. Dummerweise war eines der Mädchen weiß.“ James und sein siebenjähriger Freund, natürlich auch ein Schwarzer, wurden verhaftet wegen Vergewaltigung. Erst nach monatelangem, weltweiten Protest wurden die beiden Kinder freigelassen.
„The Kissing Case“ wird heute von Jurastudenten behandelt und ist Teil der Ausstellung im völlig überarbeiteten Bürgerrechtsmuseum in Memphis, Tennessee. James war da und hat sie sich angeguckt. „Ich bin stolz auf dieses Land“, sagt er. „Stolz darauf, dass es sich der Vergangenheit stellt und auch, dass es einen schwarzen Präsidenten wählen konnte. Man muss ihn nicht mögen, aber er wurde gewählt. Und wer das damals erlebt hat, weiß, was das heißt.“