Reisen Kanada: Der Glanz des Goldes

Jack London, Donald Trumps Großvater und hunderttausende Glücksritter kannten vor 120 Jahren nur einen Ort der Sehnsucht: Dawson City im Nordwesten Kanadas.

Für einen derben Spaß ist Captain River Rat immer zu haben — besonders, wenn er Touristen necken kann. Der alte Haudegen sitzt neben den goldbraun gestrichenen Schwingtüren des Sourdough Saloons an der Queen Street in Dawson, öffnet mit zittrigen Händen ein kleines Samtsäckchen und holt einen schwarz vergammelten alten Zeh hervor. „Traust Du Dich?“, fragt er die Frau vor ihm, die sich schnell noch einmal mit einem Whisky Mut antrinkt und schließlich einwilligt. Der Zeh — in Dawsons urigstem Saloon schwört man auf die Echtheit des Körperteils — landet in einem Glas hochprozentigem „Yukon Jack“, die Dame setzt an, und schafft es, den ekeligen Inhalt nicht zu verschlucken. Gut für sie, denn ansonsten wären als Strafe 2500 kanadische Dollar fällig gewesen. Die Dame und ihr stämmiger Begleiter in Freizeitshorts und Sandalen machen sich auf den Weg zu Diamond Tooth Gertie´s Saloon, in dem schon bald die nächste Show beginnt und vier Mädels eine halbe Stunde lang Can Can tanzen.

Draußen vor der Tür: Windschiefe Bauten, hier und da ein alter Saloon, ein historisches Postamt, natürlich ein Gold-Shop und am nahen Ufer des Yukons ein restaurierter Schaufelraddampfer. Die Bürgersteige sind nur ein paar zusammengeschusterte Bretter, auf der unasphaltierten Straße würde man bei Regen knietief im Schlamm versinken, und ein forsches Lüftchen treibt den einen oder anderen Grasballen vor sich her. Die ehemalige Hauptstadt des Yukon Territoriums — zu Zeiten des Goldrausches lebten dort rund 50 000 Menschen — wirkt wie das Set eines Westerns, das Hollywood vergaß, wieder abzubauen. Dass die eine oder andere Fassade lediglich eine bunt bemalte Sperrholzwand ist, macht den größtenteils amerikanischen Touristen nichts aus. Noch immer zieht der Name der nur noch 1800 Einwohner zählenden Ortschaft und transportiert Bilder von ausgezehrten Glücksrittern, die sich mit Waschpfannen aus dünnem Blech in den Flussbetten von Yukon und Klondike der Suche nach Edelmetall hingeben.

Foto: Sven Schneider

Wendepunkt der Geschichte war der 16. August 1896: An diesem Tag kam es am Bonanza Creek bei Dawson zum ersten großen Goldfund der Region. Schnell machte die Nachricht die Runde, und aus den von einer Wirtschaftskrise gebeutelten Vereinigten Staaten zogen Zigtausende an den Yukon, um ihrerseits von den Goldvorkommen der Region zu profitieren. In langen Schlangen kletterten sie über die ins Eis gehauenen Stufen des nahen Chilkoot-Passes, um zu den Claims und Goldfeldern am Oberlauf des Yukons zu kommen. Ein mehr als beschwerlicher Weg, den dazu jeder mehrfach gehen musste: Die Royal Canadian Mounted Police verlangte von jedem Goldsucher, eine Tonne an Material und Lebensmitteln mitzuschleppen. „Sie sollten schließlich nicht dem Gemeinwohl zur Last fallen und sich selbst ernähren können“, erzählt Helen Winton, die ihren Gästen im Jack London Museum in Dawson ein paar Anekdoten aus der bewegten Zeit rund um die vorletzte Jahrhundertwende erzählt. Auch von Jack London, dem berühmtesten aller Goldsucher.

Im Jahr 1897 bewältigte der spätere Literat den Chilkoot-Trail, kämpfte sich über die Seen und Flüsse der Umgebung bis nach Dawson durch und steckte am nahen Stewart River einen Claim ab. Eine Episode, die schneller endete, als es dem Mann lieb war. „Skorbut und ausbleibender Erfolg machten ihm zu schaffen“, sagt Winton. Geld scheffelte er erst mit seinen Erinnerungen an die Goldgräberzeit, die er in Romanform veröffentlichte: Seine Werke „Ruf der Wildnis“ und „Wolfsblut“ wurden in bislang 47 Sprachen übersetzt und stehen in den Regalen Jugendlicher weltweit.

„Nein“, beteuert Winton, mit harter und körperlicher Arbeit hätten die wenigsten „Stampeders“ Geld verdient, dafür seien die Erträge der meisten zu gering gewesen. Und die paar Körnchen Gold, die sie dem Permafrostboden und den klaren Flüssen abtrotzten, investierten sie meist sofort wieder in Bars und Bordelle, wenn sie nach ein paar Monaten auf ihrem Claim einen kurzen Besuch in der Stadt machten.

Auch das Geschäft mit Zimmern und Wohnungen war vielversprechend — und vor allem ein deutscher Auswanderer namens Frederick Trump, Großvater von Donald Trump, sah dort seine Chance. Am Lake Bennett, einem klaren Gebirgssee auf der anderen Seite des Chilkoot-Passes, eröffnete der Pfälzer aus Kallstadt ein an Luxus und Dekadenz nicht zu überbietendes Restaurant und Hotel, das „Arctic“.

Wurde anderswo in Alaska oder in Kanada Gold gefunden, zog die Meute dorthin, Städte verfielen, Claims verwahrlosten, Geschichten wurden Geschichte. Und doch: Auch heute noch ist es möglich, der Wildnis ein wenig Edelmetall abzutrotzen. Aber die Umstände seien trotz moderner Technik hart, so Justin Millar vom Claim „Gold Bottom Creek“ nur rund 30 Kilometer außerhalb von Dawson. „Aber gehen Sie davon aus, dass Sie kaum etwas finden werden“, sagt er und verweist auf die Tatsache, dass so ziemlich jedes Stück Land am Yukon bereits mehrfach umgegraben wurde.

Lediglich von Mai bis September kann der Permafrostboden bearbeitet werden, in dieser kurzen Zeitspanne müssen die Schürfer so viel finden, dass sie übers Jahr kommen. Für die meisten macht es die Masse, wie Millar betont. Noch im Jahr 2012 wurden auf allen Claims etwa 43 000 Feinunzen Gold gefunden, ein Wert von mehr als 70 Millionen Dollar.

Justin Millars Familie besitze zwar mittlerweile mehr als 70 Claims, jeweils Areale mit einer Fläche 90 000 Quadratmetern — doch die sind allesamt eher karg und wenig ertragreich. Die paar Unzen, die sie finden, reichen gerade mal aus, die Schürfrechte an ihren Parzellen jährlich zu erneuern. „Der Tourismus bringt uns mehr ein“, sagt der junge Mann, der während der Saison Besucher über den Familienclaim führt und sie unter anderem mit einer Waschpfanne in einem Bachlauf schickt: Wer Gold findet, darf es auch behalten. Groß ist die Chance nicht, so mancher begräbt schnell seine Hoffnungen.

Wobei es auch einmal anders war, wie sich Justin unter Verweis auf seinen Großvater erinnert. Stammhalter Len Millar kam in den Fünfzigern nach Dawson und übernahm den Gold Bottom Creek. Als im Jahr 1974 der Goldpreis von 40 auf 400 Dollar pro Unze stieg, wurden Len und seine Frau Rona fündig. In nur einer Nacht förderten die beiden Gold im Wert von rund 160 000 Dollar ans Tageslicht. In den darauffolgenden Monaten und Jahren wurden es Millionen.

Ein Reichtum, von dem Justin und der Rest der Millars allerdings niemals etwas gesehen haben. Der Ahnherr und seine Lady begannen ein typisches Neureichenleben und warfen das Geld mit vollen Händen raus. Als die Mine an Justins Vater überging, war nichts mehr übrig bis auf Boden und Maschinen. Kein Drama für den jungen Mann, der ob der Verschwendungssucht seines Großvaters nur die Achseln zuckt. „Work hard, play hard“, sagt Justin mit einem Grinsen und lässt den walnussgroßen Nugget durch die Finger gleiten, den er an einer Kette um den Hals trägt. Ein Geschenk des erfolgreichen Großvaters — und für den jungen Mann Antrieb, dem Glanz des Goldes weiter hinterherzuhecheln und als Goldsucher sein Glück zu finden.

Der Autor reiste mit Unterstützung des Fremdenverkehrsamtes des Yukon Territory.