Die Vielfalt der griechischen Inselwelt entdeckt man am bequemsten auf einem kleinen Kreuzfahrtschiff Aperol und Apokalypse
Es gibt sie wieder, diese Momente, die nur Trauerklöße nicht als perfekt bezeichnen würden. Etwas verspätet, aber doch rechtzeitig nach der Mittagshitze und vor dem Sonnenuntergang hat die „Celestyal Crystal“ auf Mykonos fest gemacht.
Den aussteigenden Gästen präsentiert sich beim anschließenden Inselspaziergang ein bemerkenswertes Bild: Im Hafen hinter der fotogenen Marienkirche, einem Konglomerat aus fünf weißen Kapellen, schaukeln die bunten Fischerboote.
In den Bars dahinter sitzen Hunderte Pärchen und beste Freunde hinter ihrem Aperol Spritz oder einem Mythos-Bier. Dass die Preise völlig überteuert sind, 0,3 Liter Bier für neun Euro, macht nach vielen Monaten des Lockdowns irgendwie gar nichts. Mitten zwischen den Urlaubern watschelt ein Pelikan in die Altstadtgassen. Und auch die sechs weiß getünchten Windmühlen auf dem Hügel darüber verdecken immer noch ausgesprochen malerisch den Blick auf den großen Parkplatz im Hintergrund. Das ist Inselidylle in der Ägäis, auch wenn sie im Zeitalter von Instagram kaum noch jemand auf satt kolorierten Postkarten in die Heimat schickt.
Doch auch jenseits der bekanntesten Touristenziele wie Mykonos, Rhodos oder Santorin findet sich auf den Inseln im ägäischen Meer ein Fleckchen für jeden Geschmack. Experten streiten sich, ob nun 3000 oder gar 6000 Erhebungen, Felsen und Holme dazu gehören. Jedenfalls sind 197 Inseln dauerhaft bewohnt. Um auch nur einen kleinen Überblick zu gewinnen, macht man es am besten wie die alten Griechen und geht an Bord eines Schiffes. Grundsätzlich bietet das heute ungleich mehr Luxus als eine altgriechische Bireme. Dabei gilt aber: Je kleiner der Pott, desto mehr Unbekanntes gibt es zu sehen.
Tempel für
den Meeresgott Poseidon
Die 158 Meter lange „Crystal“ für maximal 1200 Passagiere ist dabei ein guter Kompromiss. Sie kommt auch in Häfen, die sonst kaum angelaufen werden. Und die zypriotische Reederei verspricht typisch griechische Gastfreundschaft.
Bevor es in Lavrion südlich von Athen losgeht, stapft Fremdenführerin Xenia in der Kühle des Vormittags die Treppen zum Kap Sunion an der Südwestspitze Attikas hinauf. Am Schnittpunkt zwischen Ägäis und Saronischem Golf haben die Athener einst einen gewaltigen Tempel für den Meeresgott Poseidon auf die windige Klippe gesetzt. Tiefes Blau umspült die Säulenreihen der Ruine an drei Seiten. Aber es ist nicht einfach ein Heiligtum, erklärt Xenia. Zusammen mit dem Tempel auf der Insel Ägina und dem Parthenon auf der Akropolis bilde er ein gleichschenkliges Dreieck. Mathematik in Stein gemeißelt. „Die Religion diente der Erziehung der Ignoranten“, ist sie überzeugt. Hinter den Bauten, ihren Standorten, Ausrichtungen, Maßen und Bauelementen und den vielen Geschichten um antike Götter und ihre Händel verberge sich ein Code mit naturwissenschaftlichen Fakten und Formeln. Und die Tempel seien vor allem Leuchttürme gewesen – für die Seefahrt und für das Wissen.
Ein solcher Tempel oder Leuchtturm thronte auch hoch über der kleinen Sporaden-Insel Patmos fast in Sichtweite der türkischen Küste. Geweiht war er der Jagd- und Mondgöttin Artemis. Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet hier in einer Nische im Felsen um 100 nach Christus ein gewisser Johannes seine Offenbarungen hatte wie bei einem antiken Orakel. Tausend Jahre später entstand auf den Tempelruinen auf Geheiß des byzantinischen Kaisers ein Kloster. Seither ist es einer der heiligsten Orte der Orthodoxie.
„Kreuzfahrtschiffe kommen trotzdem bislang kaum hierher“, sagt der Taxifahrer, während er mit quietschenden Reifen die Serpentinenstrecke vom Hafenort Skala hinauf zum Kloster kurvt. Oben wartet hinter weiß getünchten Mauern selbst im musealen Teil eine spirituelle Aura mit Fresken in leuchtenden Farben im Zwielicht der Kirche sowie mit uralten Handschriften voller Blattgold, Messgewändern und kostbaren Weihegeschenken in der ehemaligen Bibliothek. Die Höhle selbst liegt als unscheinbare Nische unterhalb direkt an der Straße in einem eigenen kleineren Klosterkomplex. Eher das Loch eines Eremiten.
Tatsächlich war Johannes als christlicher Eiferer von den Römern nach Patmos verbannt worden. Er revanchierte sich mit der Apokalypse. Ein orthodoxer Mönch, trotz der Sommerhitze in schwarzem Habit, wacht darüber, dass hier die Wachskerzen niemals verlöschen.
Kretas ruhige Seite
in Agios Nikolaos
Auf Kreta legt die „Crystal“ nicht im hektischen Heraklion, sondern im beschaulichen Agios Nikolaos im Ostteil der Insel an. Ein erster Strand lockt keine fünf Minuten von der Gangway entfernt. Neben einem Spaziergang rund um den blauen See mitten im Zentrum lohnt sich ein Ausflug zum Inselchen Spinalonga im Golf von Mirabello. Die Venezianer haben hier vor 500 Jahren eine mächtige Seefestung angelegt. Bekannt und berüchtigt war die Insel im 20. Jahrhundert als Lepra-Kolonie. Erst 1957 wurde sie geschlossen. Noch immer wird einem etwas unheimlich beim Gang durch die verwaisten Gassen und stillen Winkel.
Eine weitere Entdeckung ist die Kykladen-Insel Milos. Schon die alten Griechen wussten die größte natürliche Bucht im ganzen Mittelmeer zu schätzen. Ausgrabungen vor Ort und die weltberühmte Venus von Milo im Pariser Louvre, die eigentlich eine Aphrodite ist, belegen das. Trotzdem kommen bislang nur wenige Touristen. Die Insulaner verdienen ihr Geld überwiegend in Bergwerken der alten Vulkaninsel. Verladeanlagen für Betonit, Perlit oder Puzzolan prägen einen Teil der Insel.
Seine außergewöhnliche Schönheit zeigt Milos nur jenen, die sich bei ruhiger See wie einst die Piraten auf kleinen Segelbooten oder neuerdings auch Motoryachten in die unzugängliche Bucht von Kleftiko ganz im Südwesten der Insel bringen lassen.
Blendend weiß ragen dort Kalksteinfelsen wie verwitterte Türme oder Burgen aus dem türkisblauen Wasser. Die Fluten haben einige Felsvorsprünge zur Bögen und Tunneln ausgehöhlt. Wer sich traut, der kann durch eine mehr als 50 Meter lange Höhle mit zwei Ausgängen schwimmen. Dunkelblau schimmert das Wasser darin im wenigen restlichen Licht des Tages. Fast könnte man glauben, ein Seeungeheuer aus der Odyssee hätte sich dort unten verkrochen.
Der Autor reiste mit Unterstützung von Celestyal Cruises.