Lava und Kapernknospen: Sizilien im Frühling entdecken

Taormina (dpa/tmn) - Bald überzieht das erste Blütenmeer Sizilien, die Sonne wärmt von Tag zu Tag mehr. Bis das Meer wieder Badetemperatur hat, dauert es aber noch eine Weile. Der Frühling ist die richtige Zeit für ausgedehnte Fahrradtouren oder die klassische Rundreise.

„Vorsicht, Glatteis!“, warnt ein Schild. Das kann nur ein Spaßvogel aufgestellt haben, beruhigt sich der Tourist im Osten Siziliens, der sein Leihauto tausende von Metern aufwärts quält, um dem Ätna einmal so nah wie möglich zu kommen. Doch die Warnschilder tauchen vor jeder höher gelegenen Serpentine, jeder steilen Kurve auf. Tatsächlich haben sie von Dezember bis April ihre Berechtigung.

Schnee und Eis verwandeln nach dem langen Sommer die höher gelegenen Gebiete in ein einziges Wintermärchen, das die Passagiere vorbeiziehender Schiffe mit reinem Weiß und strahlendem Glitzern betört. In zwei Skigebieten befördern mehrere Schlepplifte Anfänger und Profis auf Pisten, auf denen Skifahrer bis zu 1500 Meter hinabsausen können. Währenddessen feiert das nur 30 Kilometer entfernte Taormina bereits den schönsten Frühling.

Und eines der Hauptnahrungsmittel der Insel zeigt sein Beharrungsvermögen. Die Pflanze macht sich erneut in Ritzen, Mauernischen, auf Brüstungen und an Straßenrändern breit und muss sich darauf gefasst machen, dass es die Knospen wieder nicht zur vollen Blüte schaffen werden. Stattdessen werden die Kapern von Hand geerntet und in grobem Salz, Essig oder Öl zu der pikanten Kochzutat. Was wäre Vitello tonnato ohne Kapern? Oder Spaghetti alla puttanesca?

Viele Sizilienbesucher reisen bald wieder ab. Eugen Schuler aus Heilbronn ist geblieben. Er kam mit einem Ohrenleiden wegen des milden mediterranen Klimas. Das war 1886. Als junger Mann verliebte sich Eugen in Taormina-Giardini und wurde Antiquitätenhändler. Schuler baute, inzwischen mit Frau und Kind, ein schönes Haus mit großem Laden im Parterre, in dem er seine Schätze ausstellen konnte. Als er 1905 mit nur 39 Jahren starb, machte seine junge Witwe Anna aus dem Haus eine Pension: die „Villa Schuler“. Das war ein weiser Entschluss, denn Taormina war bereits zum attraktiven Ferienziel geworden, das bald Prominente von Johannes Brahms über Thomas Mann und später Truman Capote bis Marlene Dietrich anzog.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude schwer beschädigt, doch Mitte der 1950er waren die ersten Zimmer wieder bewohnbar. Gerhard Schuler, 1954 geboren, führt die Villa nun in dritter Generation als ältestes inhabergeführtes Hotel Siziliens. Schuler hat noch erlebt, wie auf dem Corso Umberto, der Flaniermeile Taorminas, die Frauen mit ihrer Handstickerei vor den Haustüren saßen und auf die aus den Bergdörfern kommenden Wagen mit frischem Gemüse warteten.

Die Perle Taorminas, das antike griechisch-römische Amphitheater, trotzt mit seiner ausgeklügelten Architektur seit über 2000 Jahren allen neuen Strömungen. Zugegeben, die ohnehin perfekte Akustik wird technisch noch etwas aufgepeppt, aber an so manchem Konzertabend wäre nicht mal eine Lichtshow vonnöten.

Zur Linken gleiten vor der Küste die Ozeanriesen wie mit Lichtern überladene Weihnachtsbäume vorüber, von oben beleuchtet ein satter Mond die Szenerie, und hinter dem Bühnenrund spuckt der Ätna Lava. Täglich lässt er Dampf ab, und so schweben selbst bei blitzeblauem Himmel immer ein paar Wölkchen um seinen Gipfel. Im vergangenen Jahr ergoss sich dreimal ein sechs Kilometer langer Lavastrom in die umliegenden Täler. Der sorgte stets für große Aufmerksamkeit, aber nicht für größere Schäden.

Mit kompetenten Führern kommt man im Sommer auf abenteuerlichen Trekkingtouren dem Gipfel von 3350 Metern so nah wie möglich. Manchmal ist das Lavagestein sogar noch warm. Wer auf den anstrengenden, nicht immer ganz ungefährlichen Marsch verzichten möchte, schafft es mit der Seilbahn auf immerhin 2500 Meter Höhe.

Muss man aber nicht, denn selbst die Erkundung Taorminas kann zu einer kleinen Bergwanderung werden. Der ursprüngliche Ortskern erhebt sich etwa 200 Meter über dem Meer. In den vergangenen Jahrzehnten entstand daraus Siziliens bekanntester und bestorganisierter Ferienort mit etwa 6000 Betten. Den Höhenunterschied zum Strand bewältigt eine Seilbahn in nur fünf Minuten.

Aber Sizilien hat noch einiges mehr zu bieten. Besucher erklimmen die atemberaubenden 242 Stufen von Ragusa, um die Kirche Maria delle Scala zu besichtigen, erkunden archäologische Ausgrabungsstätten, die Altstadt Siracusas auf der Halbinsel Ortigia oder bestaunen die Hauptstadt des sizilianischen Barocks, das Unesco-Welterbe Noto.

Zum Erkunden der Insel gehört auch, sich durch die regionalen Küchen und Weinkeller zu kosten. Wirte bringen ihre Fische im Korb an den Tisch und zeigen sie stolz. Arabische Einflüsse führen zu einer Kombination von Salzigem, Nussigem und Süßem und gipfeln in den sensationellen, mit Pinienkernen gefüllten Sardinen. In der Gegend von Messina ist Stockfisch, also getrockneter Kabeljau, das Festessen Nummer eins. Nach einem Erdbeben und einem Tsunami im Jahr 1908 kamen zwei russische Kriegsschiffe vor allen anderen Helfern im Hafen an und verteilten große Mengen an Stockfisch. Daraus und aus Tomaten, Kapern und Oliven entstand das neue Nationalgericht, das nach wie vor mit Sellerie und Kartoffeln serviert wird.

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