Marokko: Ohne Seife durch die Sahara

Zu Fuß die Wüste Marokkos zu durchqueren, ist eine hygienische Herausforderung. Aber auch ein faszinierendes Abenteuer.

Marokko: Ohne Seife durch die Sahara
Foto: Pia Hoffmann

Ouarzazate. Hitze, Trockenheit, Einsamkeit, Müdigkeit und Muskelkater — all das ist bei einer Wandertour durch die Sahara gewollt und kalkulierbar. Aber wer rechnet schon damit, dass das größte Wüstenabenteuer die Körperpflege wird? Der erste Schritt im Kampf ums Überleben in der Wüste heißt: alles Wichtige ins Handgepäck. Und zu einem Sahara-Survival-Kit zählen nicht etwa Führerschein, Handy oder Kreditkarten, sondern vielmehr Toilettenpapier, Feuchttücher, Zahnpasta, Schlafsack und Unterwäsche. Das lerne ich gleich bei der Ankunft in Ouarzazate. Denn auch bei der staatlichen Fluggesellschaft Royal Air Maroc kommt es vor, dass einmal ein Koffer auf der Strecke bleibt — in diesem Fall meiner. Dann helfen weder Geld noch Handy.

Mit dem Jeep geht es durch endlose Gerölllandschaften, vorbei an vereinzelten Dattelpalmen-Oasen, mitten in die Wüste. Dorthin, wo kein Koffer nachgeliefert werden kann und es keine Geschäfte gibt. Keine Straßen, keine Gebäude, keine Adresse. Nach Stunden scheinbaren Umherirrens im algerisch-marokkanischen Grenzgebiet tauchen ein paar Kamele auf, die gelangweilt in den Dünen herumstehen.

Berber mit dunkelblauen Turbanen und bunten, bodenlangen Kaftanen begrüßen uns freundlich und wuchten unsere Rücksäcke auf die Kamelrücken. Jeder Teilnehmer hat rund zehn Kilo Gepäck dabei — jeder außer mir.

Während die Jeeps als letzte Brücke zur Zivilisation am Horizont verschwinden, folgen wir den Kamelen tiefer in die Einöde. Zwischen zwei langgestreckten Sanddünen liegt unser Camp: Zwölf Ein-Personen-Zelte, gruppiert um ein großes Küchenzelt, wo es bereits nach Braten duftet. Vor dem Abendessen noch schnell Händewaschen? Die Frage quittiert unser Führer mit einem Lächeln. Ein Waschzelt gibt es hier nicht. Wer auf die Toilette muss, folgt den Fußspuren hinter die Düne. Privatsphäre? Fehlanzeige. Dann werden Streichholzschachteln verteilt zum Verbrennen des Toilettenpapiers. Die Asche wird abschließend mit Sand zugeschüttet. Händewaschen ist auch nicht möglich, aber ein Mitreisender reicht mir ein Erfrischungstuch.

Houssine Dakhamat, Berber

Um das Lagerfeuer sind köstliche Platten angerichtet mit bunten Salaten, gebratenem Huhn und süßem Tee. Der Griff nach dem Fladenbrot fällt mir schwer, auch wenn meine ungewaschenen Hände jetzt trügerisch nach Kölnisch Wasser duften. Doch als die Kameltreiber traditionelle Wüstenlieder anstimmen und spannende Berbergeschichten erzählen, sind Schmutz und Bakterien schnell vergessen. „Die Wüste lehrt uns viele Lektionen“, erklärt uns Houssine Dakhamat. „Die erste ist Geduld. Man lernt, die Zeit anzunehmen. Die zweite Lektion ist Kameradschaft. In einer lebensfeindlichen Umgebung ist die Freundschaft zu Menschen und Tieren überlebenswichtig.“

Da mein Schlafsack im Koffer war, leihen mir die Berber ein paar Kameldecken, von denen ich eine als Kopfkissen zusammenrolle. So überdeckt der Kamelgeruch mögliche Körperausdünstungen. Doch meine ungeputzten Zähne und das pelzige Gefühl auf der Zunge halten mich noch eine Weile wach. Ich beschließe, die nächste Nacht unter freiem Himmel zu verbringen — im „Hotel des Étoiles“, wie die Berber scherzhaft sagen. Angst vor Kälte, Wüstenpiraten oder Trampeltieren habe ich auf einmal gar keine mehr. Dafür vor Läusen und Milben.

Am nächsten Morgen lerne ich die zweite Wüstenlektion. In vorbildlicher Solidarität leiht mir eine Mitcamperin frische Unterwäsche. Wir erhalten sogar einen Mundvoll Wasser zum Ausspülen von Zahnpasta. Dennoch liegt ein leichter Schweißgeruch über der Frühstücksdecke, an der sich die Trekker auf Fladenbrot, Marmelade und Tee stürzen. Mit ungewaschenen Haaren und ohne Spiegel und Make-up fühle ich mich etwas verwüstet.

Im Nu sind die Zelte abgebaut und die Kamele beladen. Maximal 300 Kilogramm trägt jedes Lasttier auf dem Rücken. „Kamele sind in der Wüste unverzichtbar“, erklärt uns Houssine. „Ohne sie wären viele Wüstenregionen gar nicht erreichbar.“ Zu Fuß traben wir den Tieren nach durch ausgetrocknete Salzwüsten, vorbei an erstaunlich vielen Rucola-Sträuchern. Dann geht es querfeldein durch malerische Dünenlandschaften. So stellt man sich Wüste vor: unendliche Weite, flirrende Hitze und endlose Wellenmuster im Sand.

Auf dem weichen Sand zu gehen ist mindestens so anstrengend wie eine Tiefschneewanderung. Nach und nach müssen alle Teilnehmer auf Kamele umsteigen, die uns wie Schiffe im Sturm durch die Mittagshitze schaukeln. Ein leichter Wind bläst uns den Wüstensand in Nase, Mund und Ohren. Feine Körnchen setzen sich in Haare, Wimpern und Augenbrauen und kleben auf der Haut fest. Wer jetzt die Kamera zückt, um den traumhaften Sonnenuntergang festzuhalten, hat für immer Sand im Objektiv.

Beduinen-Sprichwort

Unser Ziel ist die Sandkette Erg Chegaga südwestlich von M’Hamid, die größte Düne Marokkos. Auf einer Länge von 40 Kilometern und einer Breite von 15 Kilometern ragen manche Sicheln bis zu 150 Meter in den Himmel. Von oben über die Wellen des riesigen Sandmeeres zu blicken oder den glühenden Sonnenuntergang hinter den tiefschwarzen Dünenkuppen zu beobachten — allein dafür haben sich zwei Tage ohne Duschen gelohnt. Als ich mir mit dreckigen Fingernägeln den Sand aus den Augen reibe, bekommt ein altes Beduinensprichwort plötzlich Sinn: „Das Wasser wäscht den Körper. Die Wüste wäscht die Seele.“

Nach drei Tagen wieder zurück in der Zivilisation hat sich die Welt ein bisschen verändert. Was da aus der Leitung fließt, ist nicht mehr einfach nur Wasser, sondern flüssiges Wohlbefinden. Der flauschige Hotelteppich sendet ekstatische Impulse von den geschundenen Fußsohlen direkt ins Gehirn. Schon beim Anblick der Toilette stellt sich ein Gefühl nie gekannter Erleichterung ein. Und mitten im Zimmer steht das Symbol für Luxus schlechthin: mein Koffer.

Die Autorin reiste mit Unterstützung des Staatlichen Marokkanischen Fremdenverkehrsbüros.