Mongolei: Im Land von Dschingis Khan

Wildpferde im endlosen Grasland. Gesang zu den Klängen einer Pferdekopfgeige.

Grün, soweit das Auge reicht. Sattes, frisches Grün. Bis irgendwo der strahlend blaue Horizont beginnt. Die Landschaft ist hügelig, runde Kuppen geben ihr ein weiches Profil. Schnaubend scharren die Pferde so lange in der Wiese, bis unter den dicken Halmen sandiger Boden zum Vorschein kommt.

Die Steigbügel sind dicke, runde Metallplatten, der Sattel aus hartem, glänzendem Leder mit einer bunten Wolldecke darauf. Gar nicht so einfach, auf die Rücken der Tiere zu kommen, sie weichen zur Seite aus, scheuen. Ihnen gefällt der Sattel nicht, denn Mongolen reiten für gewöhnlich ohne.

„Schon als Kinder sitzen sie fast den ganzen Tag auf dem Pferd“, sagt Jie Ren. Er lehnt lässig mit verspiegelter Sonnenbrille an seinem kleinen Bus, der die deutsche Reisegruppe weit hinaus in die Steppe gefahren hat. Ein enges T-Shirt spannt sich über seinen muskulösen, tätowierten Oberarmen. Auch er ist Mongole, doch er wohnt in der Stadt Manzhouli. Nicht mehr in einer Gemeinschaft aus fünf bis sechs Jurten, die noch heute in erster Linie von der Viehzucht leben.

Manzhouli liegt im Norden der Inneren Mongolei, nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Eine Stadt wie eine Filmkulisse, in der rund 60 000 Einwohner zählenden, gerade einmal 100 Jahre alten Bergbaustadt passt kein Haus zum anderen, kleine Geschäfte im Parterre größerer Gebäude säumen die Fußgängerzone mit schriller Werbung.

Neben Autos, knatternden Mopeds, brummenden Lastwagen und Fahrrädern rumpeln auch Eselskarren durch die Straßen. Auf dem hölzernen Gefährt sitzt ein alter Mann in lumpigen Klamotten. Sein zerfurchtes Gesicht hellt sich auf, als er die Besucher mit ihren Kameras sieht — obwohl er das Wort Germany noch nie gehört hat. Dann prügelt er mit einer Gerte auf den abgemagerten Esel ein, der sich mühsam in Bewegung setzt.

„Chinesen, Russen und Mongolen leben hier nebeneinander“, sagt Jie. Kaum einer spricht eine zweite Sprache, jeder bleibt in seinem Viertel. Ein Wirrwarr, dem auch Jie gern mal entflieht, raus in die Stille des Graslands.

Mit den Pferden geht es in die Weite, die immer größer zu werden scheint, je mehr grüne Hügel man hinter sich lässt. Bald dehnt sich zu allen Seiten die Graslandschaft aus, Orientierungspunkte gibt es nicht mehr. Die Sommer sind kurz und heiß: Bis zu 30 Grad können es werden, das Klima ist trocken. „Das Gras hat nur wenig Zeit zu wachsen, deshalb ist von einem Tag zum anderen alles grün“, erklärt Jie. Es gibt weder Frühling noch Herbst. Wenn nicht gerade Sommer ist, herrscht Winter.

Der Blick in eine Jurte überrascht: Die kreisrunde, zelt-ähnliche Unterkunft mit dem Holzgestänge ist von einem festen, wasserdichten Stoff umspannt. Zwei Betten darin, in der Mitte ein Ofen. Eine Waschschüssel steht an der Seite, darüber ein winziger Spiegel, daneben ein kleines Regal mit ein paar Utensilien. Davor ein Fernseher, die dazu gehörige Satellitenanlage ist direkt hinter der Jurte aufgebaut, selbstverständlich besitzen die Bewohner auch Handys. Strom erzeugen sie selbst mit einem kleinen Windrad, das beständig hinter den Hütten surrt.

Rote, blaue und gelbe Fahnen am Eingang zum Gelände bedeuten, dass Besucher willkommen sind. Die Bewohner sind gastfreundlich und obwohl die Verständigung schwierig ist, bitten sie bereitwillig in ihre Jurten und auf ihren Betten Platz zu nehmen. Ein Bild von Dschingis Khan, der im 13. Jahrhundert die mongolischen Stämme einte und weite Teile Zentralasiens und Nordchinas eroberte, hängt in fast jeder Jurte.

Auf den Spuren des berühmten Eroberers geht es zum Hulun Lake. Mit mehr als 2300 Quadratkilometern Fläche ist das gegenüberliegende Ufer nur noch schemenhaft zu erkennen. Wellen brechen sich am steinigen Ufer, Fischer haben ihre Angeln ausgeworfen. Steil fallen die Klippen ab, große Felsen ragen bizarr in den Himmel. Hier soll der Legende nach Dschingis Khan sein Pferd trainiert haben. Ein einsamer Ort, an dem der Wind über den See und das flache Grasland fegt.

Wer auf einem dicken Stein sitzt und über die Landschaft schaut, kann den Geist dieser Wildnis spüren. Sich hineinversetzen in die Zeit, als wilde Reiter auf noch wilderen Pferden durch das Land zogen. Wiehernd bäumen sich die braunen Rösser auf, der Sturm peitscht unbarmherzig über die baumlose Landschaft.

Lagerfeuer, Geschichten, kehliger Gesang zum Spiel der Pferdekopfgeige, das Fleisch einer frisch geschlachteten Ziege, dazu schwarzer Tee gekocht mit Milch. Eine wilde Romantik, die Besucher auch heute noch erleben können — in der Einsamkeit der Inneren Mongolei.

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