Radarkuppel in Hessen: Touristen im einstigen Agentennest
Gersfeld (dpa) - Seit 50 Jahren prägen Radarkuppeln Hessens höchsten Berg. Von der Wasserkuppe aus belauschten einst Alliierte und Bundeswehr, was der Feind im Osten plante. Heute gibt es Touren durch die letzte verbliebene Abhöranlage, die Sperrgebiet und Kaserne war.
Wie ein überdimensionaler Fußball thront das 24 Meter hohe kugelförmige Gebäude auf der Wasserkuppe, der höchsten Erhebung Hessens. Die graue Fassade der Radarkuppel glänzt in der Sonne. Aber sie fängt längst keine Funksignale mehr ab, das frühere Agentennest ist leer. Inzwischen hat sich die einstige Abhörstation der Alliierten und der Bundeswehr auf dem 950 Meter hohen Berg zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt.
Marc-Alexander Glunde (36) heißt der Mann, der die Erinnerung an diesen Ort und die auch als „Radom“ bezeichnete Kuppel wachhalten will. „Das Radom hat mich schon immer fasziniert“, sagt der Sozialpädagoge aus Gersfeld. An Hessens höchstem Berg ließen sich viele Episoden der Segelflug- und Militärgeschichte nacherzählen - von den ersten Segelflügen ab 1911 über die Nazi-Zeit, den Umbau der Segelflugschule zur Kaserne bis hin zu den Abhörtätigkeiten im Kalten Krieg. „Das Interesse an diesen Themen ist groß“, sagt Glunde. Er und andere Radom-Freunde bieten mehrfach im Monat rund zweistündige Touren an. Rund 8000 Besucher kommen nach seinen Angaben pro Jahr.
Das Wort Radom (englisch „radome“) ist ein Kunstwort aus „radar dome“ für „Radarkuppel“. Bei einer der jüngsten Touren finden sich mehr als 40 Besucher an der Abhöranlage ein, wo hinter dem Eingangstor des Radom-Gebäudes für sie eine Zeitreise in den Kalten Krieg beginnt. Neugierig schieben sie sich durch das enge, von Neonlampen erhellte Treppenhaus und blicken in die Halle, in der einst sensible Überwachungselektronik und die 50 Quadratmeter große Antenne standen.
In der Abhöranlage arbeitete rund ein Dutzend Soldaten im 24-Stunden-Dienst. Es muss ein bisschen wie im Gefängnis gewesen sein: Die 35 Zentimeter dicken Mauern waren aus Stahlbeton, keiner der 7,50 Meter hohen Räume hatte Fenster. Die Abhörarbeit fand ohne Tageslicht und bei gleichbleibenden Temperaturen statt. „Im Winter war das schon anstrengend“, sagt Glunde. Das Kasernen-Areal war mit hohen Zäunen und Stacheldraht gegen unliebsame Besucher gesichert.
Röntgenstrahlung war die Waffe gegen den Feind. Der Luftraum der gesamten DDR, halb Polens und Frankreichs sowie der Alpen konnte mit dem Radargerät überwacht werden: Rund 1500 Flugzeuge hatten die Abhörspezialisten als kleine Lichtpunkte zeitgleich auf dem Bildschirm und werteten die Daten aus, wie Norbert Demel erklärt. Der Stabsfeldwebel a.D. hat 15 Jahre lang auf der Wasserkuppe als Elektronik-Spezialist gearbeitet und führt ebenfalls durchs Radom. In einem mehrstufigen Auswertungssystem seien die wichtigsten Informationen an übergeordnete Dienststellen weitergeleitet worden.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war Hessens höchster Berg Horchposten. Zeitweise standen fünf Radoms auf dem Gipfel. Das erste ging laut Heimatforscher Joachim Jenrich 1962 in Betrieb. Die Lage war ideal: Die Wasserkuppe ist die höchste Erhebung in der Region, die innerdeutsche Grenze war nur fünf Kilometer entfernt. Ähnliche Kuppeln gab und gibt es unter anderem in Putgarten auf Rügen, dem Gipfel des Großen Arbers in Bayern und auf dem Brocken im Harz.
Das letzte und heute noch bestehende Radom auf der Wasserkuppe wurde 1990 errichtet. Zum Einsatz kam es jedoch nie. Denn nach dem Fall der Mauer änderte sich alles. 1998 gab die Bundeswehr die Radar-Station und die Kaserne endgültig auf. Das markante Gebäude blieb stehen - weil sich Bundesrepublik und Hersteller des Radargeräts in einen jahrelangen Rechtsstreit verwickelten.
Erst 2003 wurde die einst 24 Millionen Mark teure Technik installiert - und ein halbes Jahr später wieder abgebaut. Heute steht die Radaranlage auf dem militärischen Teil des früheren Flughafens Berlin-Tempelhof. Das Gebäude und das Gelände fielen an die Stadt Gersfeld, die das Radom eigentlich habe abreißen und das Gelände renaturieren wollen.
Es regte sich jedoch Widerstand. „Das Radom ist eine Landmarke in der Region“, sagt Glunde. Das Gebäude habe einen hohen Identifikationswert und dürfe nicht abgerissen werden. Enthusiasten gründeten eine gemeinnützige Gesellschaft, pachteten das Gelände und bauten das Gebäude um. Seit rund vier Jahren ist es für die Öffentlichkeit zugänglich und Kulturdenkmal.
Statt Luftüberwachung rund-um-die-Uhr ist das Radom heute ein Ort der Kultur: Regelmäßig werden Konzerte in der Kuppel organisiert, Künstler stellen aus. „Die Akustik ist einmalig“, sagt Glunde. Durch die Wölbung entstehe ein achtfaches Echo, was die eigene Stimme bis zu eineinhalb Sekunden nachhallen lässt.