Venedig und das Touristenproblem
Venedig (dpa) - Luigi Brugnaro steht in seinem Büro in Venedig nahe der Rialto-Brücke und wirkt voller Tatendrang. Vor wenigen Wochen hat der konservative Unternehmer überraschend die Wahl zum Bürgermeister von Venedig gewonnen und damit nicht nur einen Prestigeposten sondern auch einen Haufen Probleme geerbt.
Nicht nur, dass die Stadt von einem Korruptionsskandal gebeutelt wurde und rund ein Jahr praktisch ohne Regierung dastand. Zur Urlaubssaison ist besonders offensichtlich, wie sehr der Massentourismus die Stadt gefährdet. „Wir sind voll, wir können wirklich nicht mehr Touristen aufnehmen“, sagt Brugnaro der Deutschen Presse-Agentur.
„Früher hat man einen Stadtführer mit einem Dutzend Touristen gesehen, heute sind es etwa 100 auf einmal. Es ist der Wahnsinn“, sagt der US-Blogger und Autor Steven Varni, der vor einigen Jahren nach Venedig gezogen ist. „Die durchschnittliche Erfahrung eines Touristen in Venedig ist meiner Meinung nach ein Alptraum geworden, brutal hässlich.“
Venedig. Es gibt wohl wenige schönere Städte auf diesem Planeten. Aber auch wenige, die durch den Tourismus so sehr bedroht werden. Viele Einwohner haben der Stadt schon längst den Rücken zugekehrt, das Leben ist zu teuer, Arbeitsplätze - außer im Tourismus - gibt es auf dem Festland. Läden, Restaurants und Cafés sind nur noch auf Touristen zugeschnitten. Die Stadt firmiert als italienisches Disneyland.
International gilt sie auch als abschreckendes Beispiel - so sagte zuletzt die neue Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, dass ihre Stadt nicht wie Venedig enden solle und sie daher den Tourismus einschränken wolle. Eine Aussage, die in Italien hohe Wellen schlug. „Barcelona würde sich die Finger danach lecken, wie Venedig zu werden“, sagte Italiens Kultur- und Tourismusminister Dario Franceschini. Gleichzeitig warb er aber für einen „kultivierteren Tourismus“ in Italien - nicht an Tagestouristen im Dreieck Rom-Florenz-Venedig sei er interessiert, sondern an Menschen, die die wahren und etwas abseitigen Schätze Italiens würdigen würden.
Die Kulturschutzorganisation Italia Nostra gibt an, dass mehr als 30 Millionen Menschen pro Jahr Venedig besuchen, der Bürgermeister spricht von 20 Millionen. Die Zahl der Tagestouristen wird beim italienischen Fremdenverkehrsamt nicht erfasst, nur die der Menschen, die auch in Venedig übernachten. Und das sind wesentlich weniger: Das Amt zählte im vergangenen Jahr 2,6 Millionen Gäste in den verschiedenen Unterkunftsarten im historischen Zentrum.
Tagestouristen - in Venedig kommen sie vor allem von den Kreuzfahrtschiffen, die in der Lagunenstadt anlegen - gelten als wenig rentable Gäste. Sie haken lediglich Sehenswürdigkeiten ab und lassen kaum Geld in der Stadt.
Bürgermeister Brugnaro hat nun neue Maßnahmen im Kopf: Er will den Zugang zu Attraktionen wie dem Markusplatz beschränken. „Einwohner, Studenten und Pendler hätten freien Zugang, ebenso Hotelgäste. Tagestouristen müssten im Voraus buchen“, sagt der 55-Jährige. Ob man künftig bezahlen muss, um auf den Markusplatz zu kommen, ist unklar. Die Idee ist nicht neu, aber auch nicht unumstritten. Venedig ist auf den Tourismus angewiesen, Reisende zu vergraulen, bedeutet weniger Geld in der klammen Gemeindekasse.
Kulturminister Franceschini hält Ideen wie ein Eintrittsticket für das historische Zentrum für die falsche Methode. Das würde den Eindruck einer geschlossenen Stadt hinterlassen. Venedig sollte vielmehr, „als Stadt leben“. Über ein Touristen-Limit wird derweil auch andernorts nachgedacht: Die Aufnahmekapazität der Balearen sei vor allem in den Sommermonaten völlig erschöpft, hieß es kürzlich von der neuen linken Regierung der spanischen Inselgruppe, zu der auch Mallorca gehört.
Brugnaro schweben noch andere Maßnahmen vor, den Tourismus zu regeln und das lokale Leben wiederzubeleben. So sollten Einwohner in einer Extra-Schlange schneller auf die Vaporetti, also die Wasserbusse, dürfen. Zudem will er den Tourismus außerhalb der Saison und in der ganzen Kommune Venedig bewerben. Das Umland biete wunderbare Attraktionen - in 40 Minuten sei man zum Beispiel in den Dolomiten.