Christoph Tomala lief zu Fuß an die Rheinquelle
Der Krefelder Christoph Tomala (27) lief in gut sieben Wochen bis in die Schweizer Berge.
Krefeld. Eines Wochenendes saß Christoph Tomala mit Freunden am Rhein in Krefeld und ließ seinen Gedanken freien Lauf. „Ich habe mir gedacht, dass der Rhein hier so breit ist, und etwa 20 000 Badewannen in der Sekunde runter fließen“, sagt der 27-Jährige.
„Und irgendwie habe ich mir dann überlegt, dass man ihn irgendwo mit einem Schritt überqueren kann.“ So war die Idee geboren, zu Fuß an die Rheinquelle in der Schweiz zu laufen. „Ich wollte irgendetwas machen, wobei ich an meine Grenzen gehe.“
Der 27-Jährige, der bei der Stadt Krefeld im Fachbereich Umwelt arbeitet, nimmt sich sieben Wochen Urlaub — seinen Jahresurlaub, Resturlaub aus dem vergangenen Jahr sowie Überstunden. Auf der Internetseite Google Earth druckt er sich die Wegabschnitte aus. „Ich habe sehr viel improvisiert“, sagt er.
28. Mai, Rheinkilometer 762: Christoph Tomala schnallt sich seinen 30 Kilogramm schweren Rucksack auf und macht sich von Krefeld aus auf den Weg zum Ursprung des Flusses am Tomasee. Nach zwei Tagen ruft der Krefelder seine Eltern an. „Alles, was ging, habe ich ihnen mitgegeben. Das war einfach zu schwer.“
Ohne Schlafsack, Zelt und mit nur noch zehn Kilo Gepäck setzt Tomala seine Reise fort. Er läuft, so wie es möglich ist, immer direkt am Fluss. Nachts schlägt er sein Lager am Ufer auf. Da er Zelt und Schlafsack seinen Eltern mitgegeben hatte, muss er improvisieren.
„Ich hatte eine dünne Isomatte, auf der ich geschlafen habe. Darüber habe ich eine Plane gespannt, und da ich nur eine kurze Hose hatte, habe ich nachts meine T-Shirts und Regenjacke um die Beine gewickelt.“
Die ersten Nächte alleine in der freien Natur sind für Tomala beängstigend. „In der zweiten oder dritten Nacht habe ich ein Klopfen gehört und habe mir eingebildet, dass jemand mit einem Messer hinter einem Baum steht“, erinnert sich Tomala. „Ich hatte wirklich Angst. Das sind schon irre Geräusche nachts und die Fantasie spielt einem Streiche.“
Morgens wird er pünktlich um 7 Uhr von Ameisen geweckt. „Die waren mein natürlicher Wecker. Sind immer auf mir rum gekrabbelt. Das war grausam.“ Grausam sind auch die Schmerzen, die er am ganzen Körper spürt.
„Die ersten zwei Wochen waren schlimm, weil ich nicht trainiert war“, sagt er. Er denkt darüber nach, die Reise abzubrechen. „Ich habe mich dann selbst motiviert, zum Beispiel damit, dass es eine einmalige Chance ist, frei und total ungebunden zu sein.“
Tomala möchte pro Tag rund 30 Kilometer schaffen. Einmal in der Woche macht er einen Ruhetag. Seine Kleidung, er hat sich zwei T-Shirts mit seinem Vorhaben bedrucken lassen, wäscht er im Rhein.
Wenn ihm das Trinkwasser ausgeht, klingelt er bei Unbekannten und fragt nach Leitungswasser. „Keiner hat mich je abgewiesen.“ Ohnehin sind ihm die freundlichen Menschen besonders im Gedächtnis geblieben. Fremde bieten ihm an, bei ihnen zu schlafen, geben ihm Essen und Trinken oder gar Kleidung.
Auf der Höhe von Straßburg — nach etwa 460 Kilometern — denkt Tomala wieder ans Aufgeben. „Ich konnte nicht mehr weiter laufen.“ Seine Fersen bereiten ihm große Schmerzen — die Sohle ist zu hart. Die Not macht ihn erfinderisch. Er nimmt kurzerhand die Sohlen aus seinen Wander-Schuhen heraus, schneidet neue aus seiner Isomatte heraus und legt sie in die Schuhe hinein. „Das hat mir die Tour gerettet.“
An den Streckenabschnitt zwischen Straßburg und Basel hat Tomala ohnehin nicht die besten Erinnerungen. „Das hat keinen Spaß gemacht“, sagt er. Dort ist der Rhein begradigt. „Man ist gegangen und gegangen und kam nicht vorwärts.“ Direkt am Rhein — Tomala läuft stets auf der linksrheinischen Krefelder Seite — ist die Gegend nicht besiedelt.
Um in einen Supermarkt oder ein Dorf zu kommen, müsste er gut 20 Kilometer landeinwärts gehen. Eine Tagestour für Tomala und ein Umweg, den er nicht machen möchte. „Ich habe drei Tage lang nix gegessen und nur Regenwasser getrunken, das ich mit meiner Plane eingesammelt habe.“
Schließlich erreicht Tomala Rheinkilometer null und ist enttäuscht. „Die Zählung der Rheinkilometer fängt bei Konstanz an. Das habe ich nicht gewusst.“ Von Konstanz bis zur Rheinquelle in den Alpen sind es noch etwa rund 200 Kilometer. „Ich habe gemogelt“, gesteht Tomala. „Von Konstanz bis Chur bin ich mit dem Zug gefahren.“ Von Chur bewegt er sich dann wieder zu Fuß fort.
7. Juli, Schweizer Alpen: Tomala hat es geschafft. Durch das Gestein plätschert ein Bergbächlein. In rund 2300 Metern liegt der Tomasee, die offizielle Rheinquelle. „Ich bin in dem Rinnsal gegangen“, sagt Tomala — und in seinem Gesicht ist die Begeisterung dieses Momentes abzulesen. Rund zwei Stunden hält er sich dort oben auf. Ein Bier hat er sich mitgebracht, um den Moment zu feiern.
„Der Rhein ist so klein und hilflos da oben“, sagt Tomala. „Ich habe den Lauf des Rheins gelenkt und verändert.“ Er wirft Steine in das Rinnsal. Und natürlich hat er auch seinen Ursprungsplan umgesetzt und nach gut 41 Tagen Fußmarsch und weit mehr als 762 Kilometern den Rhein mit einem Schritt überquert.