Stadtführung per Rad: Die Trümmerfrau hat freien Blick auf St. Dionysius

Per Rad erkunden Bürger die Krefelder Frauengeschichte. In Spielszenen wird sie lebendig.

Krefeld. Die Trümmerfrau in Kittelschürze und Kopftuch auf der Rathaustreppe ist schwer beschäftigt mit den Steinen: „Da drüben vor St. Dionysius haben wir schon aufgeräumt! Schöner Blick jetzt!“ Katrin Meinhard ist in die Rolle einer Krefelder Trümmerfrau geschlüpft und versetzt die 25 Teilnehmer der „Radtour durch Frauengeschichte(n)“ in die 1940er Jahre.

Geschichte mit Spielszenen lebendig, anschaulich und unterhaltsam zu gestalten, das ist die Spezialität von Lydia Paggen. In einer Kooperation von Volkshochschule Krefeld, Katholischem Forum und sieben Schauspielerinnen hatte sie wieder zu einer Stadtführung geladen. Dieses Jahr gab es als Premiere die geführte Radtour — was sich in den ruhigen Straßen an einem Sonntag gut realisieren ließ.

Erstaunliche Fakten aus einer gar nicht so weit zurückliegenden Vergangenheit kamen in punkto Frauen und Selbstbestimmungsrecht in den kleinen Szenen vor ausgewählten Gebäuden zur Sprache. Die Krefelderin Elisabeth Selbert als eine der Mütter des deutschen Grundgesetzes sorgte mit ihrer Hartnäckigkeit dafür, dass im vierten Anlauf der Artikel „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ins Grundgesetz aufgenommen wurde.

Am „magischen Dreieck“ — so Paggen — von Dionysiuskirche, Standesamt und Gleichstellungsstelle beschwert sich eine der Schauspielerinnen, die in die Rolle einer Bankangestellten geschlüpft ist, dass ihr Ehemann ihr Arbeitsverhältnis bei der Bank gekündigt hat, weil es ihm nicht passte. Bis 1977 war ein Ehemann, der seine Gattin so an ihre Pflichten am Herd binden wollte, völlig im Recht.

Im Hauptbahnhof erfährt man, dass sich im späten 19. Jahrhundert Krefelderinnen um junge Mädchen kümmerten, die vom Land zur Arbeit in die Stadt zogen. Aus diesen Anfängen entwickelte sich in Krefeld die Bahnhofsmission mit ihrem heute größeren Aufgabenspektrum.

Bei einer Kaffeepause nutzen die Radler auf Spuren der Alltagsgeschichte die Gelegenheit, auch selber ins Gespräch zu kommen. Die studierte Historikerin Dorothee Nißlmüller war schon 2011 bei Paggens Tour dabei: „Ich bin völlig begeistert, hier die Stadt auf eine andere Art kennenzulernen“.

Sehr persönliche Erinnerungen kommen einer anderen Teilnehmerin bei der letzten Station, dem Kinderheim Kastanienhof, in den Sinn. Ulrike Coelen hat hier zu Beginn ihrer Berufstätigkeit als Kindergärtnerin selber drei Jahre lang gearbeitet und mit den Schwestern die erste Familiengruppe im Kastanienhof geleitet. Für sie war es noch in den 1960er Jahren etwas Besonderes, als allein erziehende Mutter mit einem unehelichen Kind einen Arbeitsplatz zu bekommen — samt der Möglichkeit, das eigene Kind mitzubringen.