Stadtgeschichte: Geheime Bilder der zerstörten Synagoge

Der Krefelder Kurt Gimnicher fotografierte heimlich den ausgebrannten Bau.

Krefeld. Kurt Gimnicher wird an diesem Novembermorgen um 5.30 Uhr von einem Freund geweckt. "Nimm dein Rad, und wir gehen mal eben zur Synagoge. Die brennt."

Seit August 1938 wohnte Gimnicher an der Lohstraße 109. Die beiden jungen Krefelder Juden sehen die Synagoge in Flammen stehen. Auch das Gemeindehaus am Bleichpfad brennt.

"Das ist eine schreckliche Erfahrung gewesen", erinnert sich Gimnicher Jahrzehnte später an jenen 10. November 1938. An diesem Tag ging er durch die Stadt und sah die zerstörten Geschäfte.

Dabei wird der 19-Jährige wohl auch jene Fotos gemacht haben, die die ausgebrannte Krefelder Synagoge zeigen. Wie ein Geheimagent versteckte er seine Kamera in einem Schuhkarton.

Vier der Aufnahmen sind in der Ausstellung "Pogrom in Krefeld" in der Villa Merländer zu sehen. Dort hängt auch eine Fotografie, die den jungen Fotografen Kurt Gimnicher im Kreis von Freunden und Verwandten zeigt.

Ende 1938 / Anfang 1939 feiern sie die Abreise des 19-jährigen Krefelders in die USA. Früh orientierte sich der ehemalige Schüler des Gymnasiums am Moltkeplatz in Richtung Vereinigte Staaten.

Eine Ausbildung zum Fotografen besaß Gimnicher nicht. Es war ein Hobby. Als er einmal in seinem Lehrbetrieb - er wurde zum Seidenweber ausgebildet - Aufnahmen von jungen Mitarbeiterinnen machte, drohte ein Mann ihn wegen "Rassenschande" anzuzeigen. Welche Motive ihn später bewegten, Fotos der ausgebrannten Synagogenruine zu machen, ist nicht bekannt.

Ein offizielles Verbot, die verkohlten Mauern zu fotografieren, habe es zwar nicht gegeben. "Aber er hatte wohl Angst, sonst hätte er die Fotos nicht heimlich gemacht", sagt Ingrid Schupetta, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle.

In einen Schuhkarton bohrte er ein Loch, steckte eine Kamera hinein und machte sich auf den Weg. Die Aufnahmen sind zum Teil leicht verwackelt. Betrachtet man sich die Reihenfolge, liegt es nahe, dass er sie im Vorbeigehen anfertigte. Die vier Aufnahmen aus der Ausstellung entdeckte Schupetta im New Yorker Leo-Baeck-Institut.

Im Dezember hatte Kurt Gimnicher seine Papiere für die Auswanderung zusammen. Das Foto seiner Abschiedsparty in der Villa Merländer, das ihn ganz rechts am Bildrand zeigt, hat er wohl per Selbstauslöser gemacht.

Anfang Januar 1939 verabschieden seine Eltern, Verwandten und Freunde den jungen Mann am Bahnhof. Seine Schwester lebte schon länger in den Niederlanden, seine Eltern wanderten kurz nach ihm aus - alle anderen, die ihn an diesem Wintertag in Krefeld verabschiedeten, wurden ermordet.

Der Leidenschaft der Fotografie ging Gimnicher, der sich in Gimson umbenannte, alsbald bei der Army nach. "Er hat den Krieg mit der Kamera in der Hand geführt", so Schupetta. Der Kontakt nach Krefeld ist abgebrochen. Falls Gimson noch lebt, feiert er am Montag seinen 90. Geburtstag.