Wenig Anerkennung, kleines Gehalt und trotzdem glücklich
Michael Copp ist Altenpfleger aus Überzeugung. Im St. Lazarus-Haus kann er sich individuell um die Bewohner kümmern. Das ist für ihn das Wichtigste.
Krefeld. Ein bisschen verloren wirkt er schon, wie er da so allein in seinem Bett liegt. Er hat sich auf die Seite gedreht, die Jalousien sind noch unten. Sie allein hochzuziehen, das schafft Werner K. nicht mehr. Sein kleines Zimmer ist mit dem Nötigsten ausgestattet — eigene Möbel hat der 91-Jährige nicht um sich: Er lebt im St. Lazarus-Haus in Hüls. Ein paar alte Aufnahmen aus Ostpreußen zeugen von seiner Biographie, ein paar Stofftiere sitzen am Bett.
Als die Tür aufgeht und Altenpfleger Michael Copp hereinkommt, blitzen die blauen Augen des alten Mannes auf. Er weiß, dass die nächsten Minuten allein ihm gehören. Zeit, ein bisschen zu plauschen, während die morgendlichen Verrichtungen in Angriff genommen werden — die manchmal ganz schön lästig sein können. „Was würden Sie denn heute mal von einer kleinen Rasur halten?“, fragt Copp. So richtig begeistert ist K. zwar nicht, aber dann stimmt er doch zu.
Es beginnt ein Prozedere, das Außenstehende durchaus für die Entdeckung der Langsamkeit halten könnten. Zügige Bewegungsabläufe, die ein Leben lang selbstverständlich waren, werden im Altenheim in Zeitlupe absolviert. Zur Geduldsprobe werden sie aber anscheinend nicht, jedenfalls nicht für Michael Copp. Er richtet Werner K. auf, streichelt ihm über den Rücken und hievt ihn scheinbar mühelos auf einen Stuhl, auf dem er ihn dann ins Badezimmer schiebt. Vor dem Waschbecken angekommen, reicht Copp ihm einen elektrischen Rasierer. Denn das, darauf besteht K., kriegt er auch noch gut alleine hin.
„Zeit zu lüften und das Zimmer ein bisschen aufzuräumen“, sagt Copp. Ruckzuck ist das Bett gemacht. Alles liegt Kante auf Kante, fast wie im Hotel. Danach geht’s schnell wieder zurück ins Bad, Werner K. beim Waschen und Anziehen helfen. Der sieht frisch und glücklich aus, als er dann — in ordentlicher Strickjacke — an seinem Tisch sitzt und frühstückt. „Brauchen Sie noch etwas?“ Copps Frage ist nicht rhetorisch gemeint. Copp ist Altenpfleger aus Überzeugung.
Nach dem Abitur hat er seinen Zivildienst im St. Lazarus-Haus gemacht. „Das hat mir so gut gefallen, dass ich danach die Ausbildung zum Altenpfleger drangehängt habe“, sagt er. Eine Aussage, die viele seiner Bekannten mit einem Kopfschütteln quittieren. Typische Argumente: Man verdient nichts, man bekommt keine Anerkennung, und mal ehrlich — es gibt doch wirklich angenehmere Tätigkeiten.
„Was diese Einstellung betrifft, liegt in unserer Gesellschaft wirklich einiges im Argen“, sagt Copp. „Wir tragen schließlich eine riesige Verantwortung.“ Und das nicht nur im medizinischen Bereich, sondern auch und vor allem im sozialen. Altenpfleger sind manchmal die einzigen Bezugspersonen, die ein Bewohner überhaupt noch hat. „So einen Beruf kann man nicht in der Schule lernen“, sagt Copp. „Den muss man schon im Blut haben, sonst packt man es nicht.“ Und meint damit: Ohne Liebe und Einfühlungsvermögen scheitert man in diesem Job wahrscheinlich schon in der ersten Woche.
Denn nicht alle Bewohner sind so fit wie Werner K., der sich alleine rasieren kann und beim Essen kaum Hilfe braucht. Im St. Lazarus-Haus sind viele „demenziell verändert“, wie Michael Copp sagt. Sie zu pflegen, ist jeden Tag eine neue Herausforderung. „Manchmal rotieren wir hier und springen nur noch hin und her“, erzählt er. Und nicht immer geht auch dem passioniertesten Altenpfleger die Arbeit leicht von der Hand. Aber Copp ist froh, dass er in einem Heim arbeitet, in dem unterm Strich noch Zeit für die Menschen bleibt, denn das ist ihm das Wichtigste. 29 Senioren werden derzeit stationär im St. Lazarus-Haus betreut, auf sie kommen fünf bis sieben Pflegekräfte. Eine Quote, von der andere Einrichtungen nur träumen können.
„Wir sind keine Verwahranstalt“, sagt Heimleiter Ralf van den Dolder. „Bei uns steht das Leben im Mittelpunkt, unabhängig vom Alter.“ Und das merkt man schon am Eingang. Erste Auffälligkeit: kein Altenheimgeruch, eine freundliche Atmosphäre. An der Rezeption eine kleine Tafel: Auf ihr ist vermerkt, wer in diesem Monat Geburtstag hat. Die Namensschilder, die verraten, wer hinter der Tür lebt, sind mit einem Foto des Bewohners versehen. Schilder mit dem Struwwelpeter weisen den Weg zum hauseigenen Friseur. Fotocollagen an fast allen Wänden erinnern die Menschen an gemeinsame Ausflüge. Zivi Michael spielt im Café Klavier und singt mit allen, die Lust darauf haben.
„Wir möchten die Menschen bewusst sehen und in ihrer Individualität wahrnehmen“, sagt Michael Copp. „Wir kennen ihre Biographie und können so ihre lieb gewonnenen Rituale beibehalten.“ Die muss er nicht immer nachvollziehen können. Copp stellt sich nicht selbst in den Mittelpunkt, sondern sein Gegenüber. Und er ist, manche mögen es seltsam finden: glücklich.