Zirkus: Manege frei für den Nachwuchs
Früh übt sich, wer ein guter Artist werden will. Im Flic Flac trainieren drei Mädchen jeden Tag.
<strong>Krefeld. Ira Rizaeva klingt ziemlich streng: "Tatjana, du bist nicht gerade. Du wackelst." Die Artistin, die in der aktuellen Produktion des Zirkus Flic Flac "Underground" eine Feuerjonglage zeigt, trainiert auch den Nachwuchs. Tatjana Kastein ist eine ihrer eifrigsten Schülerinnen. Das Mädchen ist gerade einmal 16 Jahre alt und hat bereits ihre eigene Äquilibristik-Nummer im Programm des Flic Flac. Äquilibristik ist die Kunst des Gleichgewichthaltens und die beherrscht Tatjana für das Auge eines Laien bereits perfekt - im Handstand auf einem schrägen Spiegel. Nicht umsonst hat sie beim European Circus Festival in Wiesbaden Gold in ihrer Altersgruppe gewonnen. Aber ihrer Trainerin Ira fällt auch die kleinste ungenaue Bewegung auf. Sie selbst kam mit zehn Jahren an die renommierte Zirkusschule in Kiew. "Man sollte möglichst früh mit dem Training anfangen, auch wenn das ein wenig vom Genre abhängt", erklärt sie. "Aber bei der Akrobatik sind kleine Kinder im Vorteil. Ihre Körper sind weicher und flexibler." Es brauche Jahre der Übung, bis eine Nummer aufführungsreif sei.
Der Zirkus hat seinen eigenen Schulwagen für den Unterricht
Fünf schulpflichtige Kinder leben im Flic Flac. Der Zirkus hat eine eigene Schule in einem Wagen inklusive Lehrerin. Die Kinder unterschiedlichen Alters werden hier zusammen unterrichtet - fünf Stunden am Tag. Diejenigen, die in die Fußstapfen ihrer Eltern treten möchten, trainieren danach täglich, je nach Alter, bis zu mehreren Stunden.
Sascha Rizaeva, die zwölfjährige Tochter von Ira, übt wie ihre Mutter Jonglage und Diabolo, ein spezielles Spielgerät bestehend aus zwei Stöcken, die mit einem Seil verbunden sind, auf dem ein Doppelkegel balanciert wird. Aber nicht nur das: Sascha kann Spagat und ist gelenkiger, als es die meisten sesshaften Menschen je sein werden. Und auch die kleine siebenjährige Vita Jouravel macht Sachen mit ihrem Körper, bei denen man nur "Aua!" denkt. Wenn sie sich fortbewegt, macht sie zwischendurch einfach einen perfekten Radschlag oder Flickflack, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Zirkuskinder sind eben anders. Pressesprecherin Iris Vollmann sagt: "Sie sind wesentlich selbstständiger. Sie leben in einem geschützten Raum, lernen schon früh, diszipliniert an sich selbst zu arbeiten und bleiben dabei trotzdem lange Kind."
Ein anderes Leben können sich die drei Mädchen nicht vorstellen. "Wir vermissen nichts, weil wir auch nichts anderes als das hier kennen", sagt Tatjana. Und Sascha ergänzt: "Klar hat man mal Tage, an denen man keinen Bock hat, zu trainieren, aber das ist ganz normal." Am Zirkusleben lieben die Mädchen, dass man viel herumkommt und immer neue Städte kennen lernt. "Nur der Winter ist manchmal hart. Bei Frost haben wir kein Wasser, weil die Schläuche zufrieren", berichtet Tatjana. Da im Zirkus viele Nationalitäten vertreten sind, spricht sie bereits vier Sprachen. Deutsch und Englisch fließend sowie "Russisch und Spanisch so lala".
Doch es gibt auch Artistenkinder, die ihre Zukunft nicht im Zirkus sehen. Iras 17-jähriger Sohn Jegor ist so ein Fall. Der hat seine Berufung noch nicht gefunden, obwohl ihn seine Mutter auch sieben Jahre lang trainiert hat. "Ich akzeptiere das", sagt Ira. "Es ist sein Leben, obwohl ich mir gewünscht hätte, dass er weiter macht."