Kreis Viersen AfD-Kandidat gibt Rätsel auf

Der Hamburger Kay Gottschalk möchte im Kreis Viersen für seine Partei als Bundestagskandidat antreten. Wohnsitz und Mandat in der Hansestadt behält er aber.

Foto: dpa

Kreis Viersen. „Kay Gottschalk ist Bundestagskandidat der AfD im Kreis Viersen“ — diese Nachricht hat der Stadtverband Nettetal der sogenannten Alternative für Deutschland am 6. Juli der Presse mitgeteilt. In 134 nicht immer korrekt geschriebenen Wörtern — verteilt auf sieben Sätze — ist unter anderem die Rede davon, dass Gottschalk mit „überwältigender Mehrheit zum Direktkandidaten des Kreises für den Bundestag“ gewählt worden ist. Der Kandidat der rechtspopulistischen Partei sei 51 Jahre alt, arbeite im Management einer Versicherung und sei Gründungsmitglied der AfD. Außerdem „lebt“ Gottschalk seit 2015 in Nettetal, heißt es in der kurzen Pressemitteilung. Wo genau Gottschalk lebt, beispielsweise in welchem Nettetaler Stadtteil, weiß die Öffentlichkeit aber nicht? Und auch die genaue Tätigkeit des Mannes im Nettetaler Stadtverband der AfD kennt man nicht? Die WZ hat recherchiert und versucht, die Rätsel hinter dem Namen „Kay Gottschalk“ zu lösen.

Der Nettetaler Stadtverband der AfD, der offenbar die Pressearbeit für den Kreisverband übernimmt, konnte oder wollte bei der Recherche nicht helfen. Eine E-Mail der WZ vom 11. Juli mit mehreren Rückfragen im Bezug auf die Pressemitteilung wurde bis Mittwochabend nicht beantwortet. Absender der AfD-Mitteilung ist ein gewisser Georg Reulen. Seine Funktion in Nettetal bzw. im Kreis ist unklar. Auf der nicht aktuellen und nicht gut gepflegten Homepage der Partei taucht der Name Reulen nicht auf. Unter der Rubrik „Vorstand“ findet man viele andere Namen, jedoch kein einziges Foto. „Foto folgt“ steht über jedem der zehn angegeben Vorstandsmitglieder.

Auch von Kandidat Gottschalk selbst bekam die WZ bislang keine Unterstützung bei der Recherche. Telefonisch war der AfD-Funktionär nicht zu erreichen. Einer Rückrufbitte, die die Redaktion auf seiner Mailbox hinterlassen hat, ist Gottschalk bis Mittwochabend nicht nachgekommen.

Nichtsdestotrotz hat die Redaktion über Kay Gottschalk einiges herausgefunden. Im Kreis Viersen scheint er zwar ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Innerhalb der AfD hat er aber schon bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Mittelpunkt von Gottschalks politischem Wirken scheint derzeit die Hansestadt Hamburg zu sein. Und eben nicht Nettetal. Der 51-Jährige ist Mitglied der dreiköpfigen AfD-Fraktion in der Bezirksvertretung Hamburg-Mitte. Bis vor kurzem hatte er dort sogar den mit 1000 Euro pro Monat dotierten Job des Fraktionsvorsitzenden inne. Nach Recherchen des „Hamburger Abendblatts“ hat er den Vorsitz inzwischen abgegeben. Auf der Internetseite der Stadt Hamburg wird er aber weiterhin als Mitglied der Fraktion geführt.

Der Rücktritt vom Fraktionsvorsitz hat vor allem mit seinem Engagement im AfD-Landesverband in Nordrhein-Westfalen zu tun. Im Februar dieses Jahres gehörte Gottschalk plötzlich zum Unterstützer-Kreis des damaligen NRW-Spitzenkandidaten für den Landtag und Ehemann von AfD-Bundeschefin Frauke Petry, Marcus Pretzell. Dieser wollte Gottschalk als NRW-Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl schicken. Dies misslang. Auf der Landeswahlversammlung in Essen am 25. Februar wählten die Delegierten Pretzells Widersacher Martin Renner auf Platz eins der Landesliste. Für Gottschalk blieb der angesichts der aktuellen Umfragewerte immer noch aussichtsreiche Platz 4 auf der NRW-Landesliste.

Die Gottschalk-Schlagzeilen in NRW sorgten wiederum für Ärger in Hamburg. Seine Parteifreunde im Stadtstaat wussten offenbar nichts vom Engagement in NRW. Der Chef der Hamburger AfD (Mitte), Detlef Ehlebracht, drückte sein „Befremden“ in einem Brief an die „lieben Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen“ aus. Anfang März zitierte das „Hamburger Abendblatt“ aus dem Brief, in dem Gottschalk unter anderem „fortgesetzte politische Untätigkeit“ vorgeworfen wurde. Die AfD-Fraktion in Hamburg-Mitte sei ein „Totalausfall“.

Mit Blick auf den Wohnort von Gottschalk gab und gibt es spannende Fragen. Der AfD-Mann, der nach Bekunden seiner Partei seit 2015 in Nettetal lebt, hat seinen Wohnsitz nämlich weiterhin in Hamburg. Wie die WZ von mehreren anderen Viersener Fraktionen erfuhr, steht Gottschalk auch auf der Liste der eingereichten Wahlvorschläge der Parteien mit einer Hamburger Adresse.

Wäre ein Umzug nach NRW erfolgt, hätte er sein Mandat in der Hamburger Bezirksvertretung zurückgeben müssen. Dies teilte das Landeswahlamt bereits im März dem „Hamburger Abendblatt“ mit. Ende Februar hatte Gottschalk gegenüber der „Rheinischen Post“ erklärt, dass er seinen Lebensmittelpunkt bereits in NRW habe. Deshalb wurde damals in Hamburg darüber diskutiert, ob Gottschalk entweder gegen die gesetzlichen Regelungen der Bezirksversammlungen oder gegen das Melderecht verstößt. Daraufhin teilte der Politiker auf Anfrage des „Hamburger Abendblatts“ mit, dass er seinen Lebensmittelpunkt nicht in NRW habe. Er habe dort lediglich einen Zweitwohnsitz angemeldet.

Und dieser befindet sich offenbar in Nettetal. Der Kreis Viersen macht mit Blick auf den Datenschutz zum Wohnsitz Gottschalks keine Angaben. Ohnehin will die Behörde nicht öffentlich über Namen von Kandidaten sprechen, bevor nicht der Kreiswahlausschuss am Freitagabend getagt hat.

In Sachen Wohnsitz beantwortet der Kreis Viersen allgemein eine WZ-Anfrage dahingehend, dass es nicht relevant ist, wo ein Kandidat wohnt. „Bei Bundestagswahlen spielt der Wohnsitz der Direktkandidaten keine Rolle. Das ist anders als bei Kommunalwahlen“, heißt es vom Kreis Viersen. Im konkreten Fall darf der Hamburger Gottschalk also im Kreis Viersen antreten.

Jemand, der als Direktkandidat einer Partei bei der Bundestagswahl antreten möchte, muss lediglich belegen, dass diese Partei ihn aufstellen möchte. Nach Angaben des Kreises Viersen reicht dafür ein „ordentliches Protokoll“ einer entsprechenden Mitgliederversammlung mit dem Wahlergebnis aus.

Sogenannte Unterstützer-Unterschriften seien bei „etablierten Parteien“ neben dem Versammlungsprotokoll nicht nötig. Als solche gelten Parteien, die aktuell in Land und/oder Bund im Parlament vertreten sind. Insofern braucht auch die AfD nun keine zusätzliche Unterschriftenliste mehr, weil sie seit Mai im Düsseldorfer Landtag vertreten ist. Im Vorfeld der Landtagswahl waren noch zwei Krefelder AfD-Kandidaten nicht zugelassen worden, weil sie nicht die ausreichende Zahl von 100 Unterstützer-Unterschriften einreichen konnten.

Zurück zu Kay Gottschalk: Die politischen Beobachter im Kreis Viersen werden gespannt sein, wann und wo der Hamburger in den kommenden Wochen Wahlkampf im Kreis Viersen machen wird. Einen Auftritt hatte er laut AfD bereits bei einer Podiumsdiskussion in der Liebfrauenschule „Mühlhausen“. So wird der Grefrather Ortsteil Mülhausen in der AfD-Pressemitteilung geschrieben. Dort habe Gottschalk seine „argumentative Stärke“ unter „Berweis“ gestellt. Zitat Ende.