Viersen Blick nach Berlin — mit viel Idealismus

Christoph Saßen tritt als Kandidat ohne Listenplatz für „Die Linke“ im Kreis Viersen an. Er will seine Partei stärken.

Foto: Kurt Lübke

Viersen. Stadt, Land, Hauptstadt: Christoph Saßen (39), Bundestags-Kandidat der Linken im Wahlbezirk 111, Kreis Viersen, strebt nach 11011 Berlin, Platz der Republik 1. Er tut es ohne Partei-Ticket, denn einen Listenplatz hat er nicht. Aber das Ziel zählt. Denn, behauptet Saßen, „keine Politik ohne Idealismus“. Das Direktmandat gegen Schummer, Schiefner, Heinen, Bist und Gottschalk müsste also gelingen, um Saßen künftig unter der Reichstagskuppel politisch agieren zu sehen.

Daran glaubt Saßen sicher selber nicht, aber den festen Glauben an einen Politikwechsel in Zukunft, den hat er. Wie schon bei der Landratswahl 2015 betont er: „Ich gehe nicht in den Wahlkampf, um zu verlieren“ und zieht den Fußballvergleich von den Underdogs gegen die Großen heran: „Manchmal gelingt ihnen ein Überraschungssieg.“

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Christoph Saßen über seine Motivation zur Kandidatur im Bundestagswahlkampf 2017

Saßen, das hat er unter anderem in einem Vier-Minuten-Video-Interview mit dem WDR gesagt, will durch seine Kandidatur vor allem die Partei stärken. Links nach vorn. Aber könnte er nicht tatsächlich als Kommunalpolitiker oder von der Landeshauptstadt Düsseldorf aus mehr für die Menschen, die in seinem Heimatort und -kreis leben, erreichen? Weil er ihre Probleme und Bedürfnisse genau kennt? Saßen spricht von Hürden, die der linken Politik in der Bundespolitik vor die Füße gestellt werden. Aber, „Berlin setzt nun einmal die Rahmenbedingungen für die Kommunen. Zum Beispiel Hartz IV: Das Gesetz kann ich vor Ort nicht ändern. Das kann ich nur in Berlin.“ Hartz IV hänge wie ein Damoklesschwert über vielen. „So wird Druck aufgebaut.“

Armut ist ein zentrales Thema der Linken im Wahlkampf: Arm ist ein Mensch . . ., „der nicht genug Geld zum Leben hat“, vervollständigt Saßen den Satz. Seine Partei will den Mindestlohn auf zwölf Euro pro Stunde anheben, befristete Arbeitsverhältnisse und Leiharbeit abschaffen, eine Mindestsicherung von „1050 Euro ohne Sanktionen“ und eine Mindestrente von 1050 Euro festlegen. Und wie erklärt er einem 18-jährigen Erstwähler, wie das sowie die Pflegekosten bezahlt werden, wenn die geburtenstarke Generation der 60er Jahre das Rentenalter erreicht? „Die jungen Menschen haben eine Antenne dafür. Keiner will, dass seine Eltern in Armut leben. Sie sind solidarisch.“

Die Umverteilung sieht so aus, dass hohe Einkommen stärker belastet und die unter 7100 Euro brutto im Monat entlastet werden. Einnahmen aus einer Vermögenssteuer (fünf Prozent ab der zweiten Millionen Euro Vermögen) sollen in Schulen, Kitas und Krankenhäuser investiert werden. Eine Mindestrente von 1050 Euro ruiniere den Staat nicht, sagt Saßen, weil sie helfe, die Altersarmut zu vermeiden, weil ja das Geld nicht auf dem Sparkonto lande, sondern wieder ausgegeben werde. Ein Staat ist dann sozial ungerecht, meint Saßen, „wenn er die Schwächeren aus der Gesellschaft heraus hält“. Auf die Frage, welchen Staat er für den sozialsten auf der Erde halte, lässt sich Saßen erst einmal Zeit für eine Antwort. Dann nennt er Kanada. Dort gehe es in die richtige Richtung. Gefallen findet Saßen etwa an einem Konzept „zur Wohnungsintegration“. Dabei gehe es um eine Mietermischung nach Alter, sozialem Standard, Herkunft. „So wird das Leben bunter, Gruppen leben nicht abgeschottet.“

Christoph Saßen über finanzielle Lasten für die junge Generation durch Rente und Pflegekosten für die geburtenstarken Jahrgänge

Was meint Saßen zum Stichwort Kita-Plätze? Meist werden in den Kommunen die zu zahlenden Beiträge nach Einkommen der Familien und nach der Anzahl der Wochenstunden gestaffelt, untere Einkommen bleiben beitragsfrei. Ist das unsolidarisch? Die Linke will Beitragsfreiheit von der Kita bis zur Uni. Christoph Saßen: „Das ist nicht die Frage, ob das unsolidarisch ist, sondern wessen Aufgabe das ist. Und ich bin der Meinung: Bildung und Erziehung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, also die des Staates.“

Wenn es Saßen einmal nach Berlin in den Bundestag schaffen sollte, will er sich dort des Themas Digitalisierung annehmen. „Das müsse forciert werden, denn Digitalisierung betrifft Arbeits- und Privatleben.“

Frieden — auch das ein zentrales Thema der Linken. Ihn ohne Waffen zu schaffen, gelinge nur, so Saßen, „wenn der Wille vorhanden ist“.

Zum selbstgewählten Unwort des Jahres ernennt der 39-Jährige Viersener übrigens „Twitterpräsident“. Als Kandidat einer Bundestagswahl beschäftigen Saßen schließlich nicht nur die Themen in Stadt, Land und Hauptstadt, sondern auch Politik und Protagonisten in der weiten Welt.